Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
war?«
»Ich weiß nicht.« Nate zog sich eine Zigarre aus dem Humidor. »Ich schließe es aus der Art, wie sie über ihn spricht. Sie bewunderte ihn, hat ihn idealisiert, würde ich sogar behaupten, und sie will alles tun, um sein berufliches Ansehen wiederherzustellen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so von ihm denken würde, wüsste sie, wie er war.«
»Andererseits wissen wir nicht, ob sie nicht genauso ist wie er«, sagte Sterling.
»Sie ist ihm ganz und gar nicht ähnlich!«, beteuerte Nate empört.
Quint und Sterling tauschten Blicke, und Sterling wählte seine Worte sorgsam. »Trotzdem wissen wir eigentlich nichts über sie.«
»Mutter kannte ihre Mutter«, sagte Nate, auch wenn er bereits zu demselben Schluss gelangt war und Schritte unternommen hatte, mehr über die faszinierende Fremde in ihrer Mitte zu erfahren.
Quint zündete Nate die Zigarre an. »Vergessen wir nicht, dass Mutter bislang diesbezüglich nichts Näheres sagte. Findet ihr es nicht seltsam?«
»Sie hat etwas vor.« Sterling überlegte. »Seit Miss Montini hier ist, wirkt sie sehr nachdenklich, und mir fiel auf, dass sie unseren Gast sehr aufmerksam beobachtet.«
»So interessant es auch sein mag, ist es gegenwärtig nicht unsere dringendste Angelegenheit«, wandte Nate ein. »Ich würde es vorziehen, nein, ich bitte euch, in Miss Montinis Gegenwart nicht mehr über ihren Bruder zu sprechen.«
Quint lehnte sich an die Balustrade und blies einen formvollendeten Rauchring aus. »Glaubst du allen Ernstes, ihr ist nicht bekannt, welche Art Mann ihr Bruder war?«
»Ja.« Nate ignorierte den nagenden Gedanken, dass er sich irren könnte. Wie er sich in einer Menge Dinge irren könnte, was die schöne Gabriella betraf. Sie trug ihre Reserviertheit wie ein Schutzschild vor sich her. Dennoch sprach etwas an ihr sein tiefstes Inneres an. Von dem Moment, da er ihr begegnete, erfüllte ihn eine merkwürdige Spannung, als wäre unvermeidlich, was fortan geschähe, und zugleich erregend. Es war wie eine vage Vorahnung, dass etwas Ungewöhnliches, Einzigartiges und Wundervolles in sein Leben getreten war. Was fraglos ein absurder Gedanke war, den er auf nichts gründen konnte außer dem lächerlichen Gefühl, das ihn jedes Mal durchflutete, wenn er auch bloß an sie dachte.
Teils war es natürlich Lust. Bei dem Feuer in ihren blauen Augen und der Entschlossenheit, mit der sie richten wollte, was sie für ein tragisches Übel hielt, konnte man nicht umhin zu überlegen, welche anderen Leidenschaften unter der hübschen Oberfläche schlummern mochten. Nate hatte schon Lust erlebt, aber diese war von einer anderen, bisher ungekannten Empfindung durchdrungen. Und während sie tat, was immer sie tun zu müssen glaubte, um das Siegel wiederzubeschaffen, würde er tun, was nötig war, um sie zu beschützen. Außerdem hatte er ihr sein Wort gegeben.
»Es ist kaum von Belang, denn der Mann ist tot, und wir haben versprochen, ihr zu helfen«, sagte er mit strengem Blick zu Quint. »Die Dame hat im letzten Jahr viel gelitten. Ich möchte sie nicht noch trauriger machen, indem wir den Charakter ihres Bruders infrage stellen.«
»Oder den nicht vorhandenen«, murmelte Quint.
»Ich muss mich dennoch wundern …« Sterling stieß eine blaue Rauchwolke aus und sah seinen jüngsten Bruder an. »… warum du in dieser Angelegenheit so vehement reagierst. Du kennst die junge Dame kaum.«
»Ja, dasselbe fragte ich mich auch.« Quint musterte ihn und lachte. »Du begehrst sie! Das hätte ich mir denken müssen!«
Nate hatte Mühe, an sich zu halten. »Das reicht, Quint.«
»Du Teufel«, sagte Quint grinsend. »Du willst sie in deinem Bett.«
»Ich …« Machte Quint das nicht schon sein ganzes Leben mit ihm? Ihn provozieren, bis er mit dem herausplatzte, was er unbedingt für sich behalten wollte. Vor langer Zeit hatte Nate gelernt, dass es nur eine Methode gab, mit Quints Neckereien umzugehen. Also rang er sich auch nun wieder ein verwegenes Grinsen ab. »Du nicht?«
»Nein, will ich nicht.« Quint schüttelte den Kopf. »Sie ist hübsch, keine Frage. Diese dunkelblauen Augen, die sehr angenehme Gestalt und die verführerische Andeutung eines Akzents …«
Nate wurde misstrauisch.
»… aber sie ist zu verdammt klug für mich. Gott schütze mich vor intelligenten Frauen! Für dich indes wäre sie was.« Quint riss die Augen weit auf. »Guter Gott, du begehrst sie nicht nur – du magst sie!«
»Sie ist sehr …
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