Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
jener Dinge aufmerksam werden lässt, die andere Leute für selbstverständlich nehmen: Freunde, Familie und dergleichen.«
Er machte eine kurze Pause. »Aber dies sind heikle Zeiten, mein liebes Mädchen, womöglich für uns beide. Sie sollten auf der Hut sein.«
»Was in aller Welt meinen Sie?«
»Nur dass es Menschen gibt, die nach demselben Gegenstand suchen wie Sie. Und sie würden nicht zögern, alles zu tun, was sie für nötig erachten, um an Ihr Siegel zu gelangen.«
»Oh.« Sie schluckte. Der Gedanke war ihr zwar nicht neu, aber aus Lord Rathbournes Munde schien er weniger eine Möglichkeit als eine Gewissheit.
»Ich möchte, dass meine Sammlungen geordnet werden, damit sich ihr Sinn auch dann noch erschließt, wenn ich nicht mehr auf Erden bin.«
»Mylord«, sagte Gabriella unsicher. »Sind Sie krank?«
»Nicht kränker als jeder Mann in meinem Alter. Meine Sammlungen sind von unschätzbarem Wert, und ich will, dass sie vollständig bleiben, egal, wo sie einst enden. Darüber hinaus …« Er musterte sie, als wäre sie ein Pferd, das er zu kaufen überlegte. »… gefällt mir die Vorstellung, eine wunderschöne Frau unter meinen Besitztümern zu wissen.«
»Ihre Gemahlin ist wunderschön.«
»Nur teilt sie meine Interessen nicht.«
»Trotzdem bin ich nicht sicher, ob es eine kluge Idee wäre.«
»Erlauben Sie mir, Ihnen zu erklären, warum Sie diese Gelegenheit ergreifen müssen.«
»Ich kann meine Begeisterung kaum zügeln«, murmelte sie verdrossen.
»Sarkasmus, Miss Montini, steht jedem schlecht zu Gesicht. Und unter meinen Bediensteten dulde ich ihn grundsätzlich nicht.«
»Verzeihung.«
»Wie gesagt, nach dem Tod Ihres Bruders sind Sie notgedrungen auf der Suche nach einer sinnvollen Betätigung.«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte sie. »Ich habe vieles, womit ich mich beschäftigen kann.«
»Ist das wahr? Abgesehen von Ihrer Suche nach dem Siegel, dürfte ich so kühn sein zu fragen, was genau Ihre Tage ausfüllt, Miss Montini?«
»Nein, Sie dürfen nicht, Mylord.« Er mochte durchaus furchteinflößend sein, aber selbst für den Fall, dass sie sein Angebot annahm, war er noch nicht ihr Dienstherr. Zudem konnte sie sich nicht vorstellen, weshalb sie die Stellung bei ihm antreten sollte, egal wie reizvoll die Idee war, all die Kunst und die Artefakte zu sehen, die er angesammelt hatte. Sie bekäme einen Überblick über alles, was er besaß, und könnte sich selbst überzeugen, ob er die Wahrheit sagte.
»Und ich vermute«, sagte er schulterzuckend, »Sie sind selbst schon auf den Gedanken gekommen, dass Ihnen der Zugang zu meinen Sammlungen die Möglichkeit gibt, sich zu vergewissern, dass ich nicht gelogen habe. Sie könnten persönlich nachsehen, ob ich das Siegel tatsächlich nicht habe, nach dem Sie suchen.«
»Das hatte ich noch gar nicht bedacht«, log sie.
»Natürlich nicht.«
Die Musik klang aus, und er führte sie von der Tanzfläche.
»Darf ich Sie noch eines fragen, Mylord?«
»Sie dürfen.«
»Lassen wir einmal den Wert des Siegels als rares und kostbares Artefakt außer Acht, warum interessierten Sie sich dafür?«
»Meine liebe Miss Montini, ich hätte gemeint, gerade Sie würden es verstehen.«
»Und wenn ich es nicht verstehe?«
»Ah, Sie möchten herausfinden, was ich weiß und was nicht.« Er sah sie missbilligend an. »Ich hätte erwartet, dass Sie etwas subtiler vorgehen.«
»Ich bedaure, falls ich Sie enttäuscht habe.«
»Lassen Sie es nicht wieder vorkommen.«
Sie sah ihn an. Niemals könnte sie für solch einen Mann arbeiten! »Nein, Mylord.«
»Wie Sie wissen, soll Ambropia eine reiche Stadt mit vielen Schätzen gewesen sein. Wer die Stadt findet, darf den Besitz eines unermesslichen Schatzes beanspruchen, und das nicht bloß im monetären Sinne, sondern auch im historischen. Der Entdecker der Stadt hätte eine beträchtliche Auswahl von Artefakten, die seit Jahrtausenden verborgen sind. Einzigartig in der heutigen Welt, unersetzlich, unbezahlbar. Für jeden Sammler von Rang würde seine Sammlung zur edelsten überhaupt. Ein Vermächtnis dieser Größenordnung, Miss Montini, würde jemanden wie mich reizen, beinahe alles zu tun, um es zu bekommen.«
»Ich verstehe.«
»Ja, ich dachte mir, dass Sie es verstehen.« Er beäugte sie prüfend. »Ehe Sie eine Entscheidung fällen, ob Sie mein Angebot annehmen oder nicht, sollten Sie sich meine Sammlungen vielleicht einmal ansehen.«
In diesem Moment bemerkte Gabriella, dass Nathanial ein
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