Pfand der Leidenschaft
Westcliff Amelias Arm und führte sie durch den Salon. »Obwohl wir heute keine besonders große Auswahl an präsentablen jungen Gentlemen haben, verspreche ich Euch, dass uns im
Spätherbst eine Schar begehrter Junggesellen besuchen wird. Sie kommen alle zum Jagen und Fischen zu uns – und gewöhnlich reisen überdurchschnittlich viele Männer an.«
»Das sind gute Neuigkeiten«, erwiderte Amelia. »Ich setze große Hoffnungen in meine Schwestern. Sie sollen eines Tages eine gute Partie machen.«
Lady Westcliff, der die versteckte Andeutung nicht entgangen war, fragte überrascht: »Aber für Euch selbst hegt Ihr keine solche Hoffnung?«
»Nein, ich denke nicht, dass ich heiraten werde.«
»Warum?«
»Ich habe meiner Familie gegenüber eine Verpflichtung. Sie brauchen mich.« Nach einer kurzen Pause fügte Amelia offenherzig hinzu: »Außerdem würde ich es hassen, mich den Befehlen eines Mannes zu unterwerfen.«
»Ich hatte genau dieselben Bedenken. Doch ich muss Euch warnen … das Leben findet eine Hintertür, um unsere Pläne zu durchkreuzen. Ich spreche aus Erfahrung.«
Amelia lächelte wenig überzeugt. Es war eine Sache der Pragmatik und Vernunft. Sie würde ihre gesamte Zeit und Energie darauf verwenden, ihren Geschwistern ein schönes Zuhause zu gestalten, und dafür sorgen, dass sie alle gesund blieben und eine gute Partie fanden. Dann gäbe es Nichten und Neffen in Hülle und Fülle, und das Ramsay Anwesen wäre von Menschen bewohnt, die sie von ganzem Herzen liebten.
Kein Ehemann könnte ihr mehr bieten.
Als Amelia einen Blick ihres Bruders erhaschte, bemerkte sie einen eigentümlichen Ausdruck auf seinem Gesicht, oder besser gesagt das völlige Fehlen von
Mimik, was darauf hindeutete, dass er starke Gefühle zu verbergen suchte. Augenblicklich kam er zu ihr herüber, tauschte einige Nettigkeiten mit Lady Westcliff aus und nickte dann höflich, während sie sich unter zahllosen Entschuldigungen umdrehte, um einen älteren Mann zu begrüßen, der gerade eingetroffen war.
»Was ist los?«, flüsterte Amelia und schaute stirnrunzelnd auf, als er ihren Ellbogen mit seiner Hand umfasste. »Du siehst aus, als wäre der Wein vergoren.«
»Lass die Späße!« Er warf ihr einen Blick zu, der alarmierender war als alle, die sie in letzter Zeit von ihm gewohnt war. Sein Tonfall war eindringlich. »Sei tapfer, Schwester! Hier ist jemand, mit dem du nie wieder ein Wort wechseln wolltest. Und er kommt direkt auf uns zu.«
Sie rollte die Augen. »Wenn du Mr. Rohan meinst, versichere ich dir, dass ich …«
»Nein. Nicht Rohan.« Seine Hand glitt zu ihrer Hüfte, als glaubte er, ihr Kraft spenden zu müssen.
Und da verstand sie.
Noch bevor sie sich umdrehte, um dem Mann die Stirn zu bieten, kannte Amelia den Grund für Leos sonderbares Verhalten. Sie erstarrte, es lief ihr heiß und kalt den Rücken hinab, und sie schwankte leicht. Aber irgendwo in ihrem verwundeten Innern hatte sie es die ganze Zeit über gewusst.
Sie hatte gewusst, dass sie Christopher Frost eines Tages wiedersehen würde.
Er war allein, als er unaufhaltsam auf sie zumarschierte – ein kleiner Trost, wenn man bedachte, dass er genauso gut seine frischgebackene Ehefrau
im Schlepptau hätte haben können. Und Amelia war felsenfest überzeugt, dass sie es nicht ertragen hätte, der Frau vorgestellt zu werden, deretwegen Christopher sie verlassen hatte. Sie stand stocksteif neben ihrem Bruder und versuchte verzweifelt, den Eindruck einer selbstbewussten Frau zu machen, die ihrer verlorenen Liebe mit höflicher Gleichgültigkeit entgegentrat. Allerdings gelang es ihr nicht, die Blässe aus ihrem Gesicht zu vertreiben – sie spürte, wie ihr das Blut direkt ins gebrochene Herz schoss.
Wäre das Leben gerecht, hätte Frost auf einmal kleiner gewirkt, weniger gut aussehend und begehrenswert, als Amelia ihn in Erinnerung hatte. Aber das Leben war – wie üblich – ungerecht. Er war so schlank, vornehm und kultiviert wie eh und je, mit wachen blauen Augen und dickem, kurzgeschnittenem Haar, das zu dunkel war, um als blond durchzugehen, und zu hell, um als braun bezeichnet zu werden. In seinem glänzenden Haar war jede Schattierung von Champagner bis Kupfer zu finden.
»Ein alter Bekannter«, sagte Leo. Obwohl seine Stimme frei von jeglichem Groll war, ließ sie auch kein Wohlwollen erkennen. Ihre Freundschaft war in dem Moment zerstört gewesen, als Frost Amelia verlassen hatte. Leo hatte zweifellos seine Fehler, aber wenn man ihm etwas
Weitere Kostenlose Bücher