Pfand der Leidenschaft
den Besen weg!«
»Lass mich in Ruhe!«, schrie Win. »Und geh Staub wischen!«
»Win, wenn du ihn nicht …« Amelia stockte, als sie bemerkte, dass der Blick ihrer Schwester zur Küchentür gehuscht war.
Merripen stand auf der Türschwelle. Seine breiten Schultern füllten den Rahmen beinahe ganz aus. Obwohl es früh am Morgen war, war er bereits voller Staub. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, und sein Hemd klebte an seiner eindrucksvollen Brust. Er hatte einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den Amelia
nur zu gut kannte – in diesen Momenten wirkte er unerbittlich, man hätte eher einen Berg mit einem Teelöffel versetzen können, als dass er seine Meinung geändert hätte. Dann kam er auf Win zu, streckte die große Hand aus und forderte sie wortlos auf, ihm den Besen zu geben.
Er blieb reglos vor ihr stehen. Doch selbst in der verbissenen Unbeugsamkeit der beiden erkannte Amelia eine sonderbare Verbindung, als verharrten sie in einem ewigen Patt, aus dem sie sich nicht befreien wollten.
Win gab mit einem hilflosen und gleichzeitig finsteren Blick nach. »Ich habe nichts zu tun.« Normalerweise klang sie nicht so gereizt. »Ich bin es leid, herumzusitzen und zu lesen und aus dem Fenster zu starren. Ich will mich nützlich machen. Ich will …« Ihre Stimme verklang, als sie Merripens ernstes Gesicht bemerkte. »Also schön. Hier!« Sie warf ihm den Besen zu, und er fing ihn geschickt auf. »Ich werde mir einfach irgendwo eine Ecke suchen und allmählich verrückt werden. Ich …«
»Komm mit«, unterbrach Merripen sie sanft, stellte den Besen weg und verließ das Zimmer.
Win und Amelia tauschten verwirrte Blicke aus. »Was hat er nur vor?«
»Keine Ahnung.«
Die Schwestern folgten Merripen den Gang hinab zum Esszimmer, dessen Boden mit rechteckigen Lichtflecken übersät war, die durch die hohen Fensterscheiben an der Wand hereinfielen. Ein zerkratzter Tisch thronte genau in der Mitte des Raums, und jeder Zentimeter des Holzes war mit verstaubtem Porzellan bedeckt … aufgetürmte Tassen und Untertassen,
gestapelte Teller in den unterschiedlichsten Größen, Suppenschüsseln, die in zerschlissenes graues Leinen gewickelt waren. Es gab mindestens drei verschiedene Gedecke, die völlig durcheinandergewürfelt dalagen.
»Das alles muss geordnet werden«, sagte Merripen und schob Win vorsichtig zum Tisch. »Viele Teile sind angeschlagen und müssen aussortiert werden.«
Es war die perfekte Aufgabe für Win. Sie war zwar beschäftigt, würde sich aber nicht überanstrengen. Voller Dankbarkeit betrachtete Amelia erst Merripen und dann ihre Schwester, die eine Teetasse in die Hand nahm und umdrehte. Eine winzige tote Spinne landete auf dem Boden.
»Welch schreckliches Durcheinander!«, entfuhr es Win und sie strahlte überglücklich. »Ich werde wohl auch alles abwaschen müssen.«
»Wenn du willst, dass Poppy dir hilft …«, setzte Amelia an.
»Wage es ja nicht, Poppy zu mir zu schicken«, warnte Win ihre Schwester. »Das ist meine Arbeit, und die werde ich mit niemandem teilen.« Sie setzte sich auf einen Stuhl, der neben den Tisch geschoben worden war, und begann das Geschirr auszupacken.
Merripen sah zu Win herab, deren Haar mit einem Kopftuch geschützt war, und seine Finger zuckten, als müsse er sich mit großer Anstrengung zurückhalten, um der Versuchung nicht zu erliegen, die blonde Locke zu berühren, die unter dem Stoff hervorlugte. Sein Gesicht war von all den vielen Jahren des Wartens verhärmt. Er schien genau zu wissen, dass er nie das haben würde, was er aus tiefstem Herzen begehrte. Mit einer Fingerspitze schob er eine Untertasse
vom Tischrand weg. Das Porzellan klirrte leise auf dem abgewetzten Holz.
Amelia folgte Merripen zurück in die Küche. »Vielen Dank«, sagte sie, sobald sie außerhalb von Wins Hörweite waren. »In meiner Sorge, sie könnte sich überanstrengen, ist mir einfach nicht in den Sinn gekommen, dass sie womöglich vor Langeweile umkommt.«
Merripen hob eine schwere Kiste mit aussortiertem Krimskrams hoch und hievte sie sich auf die Schulter. Ein Lächeln legte sich auf seine Gesichtszüge. »Es geht ihr von Tag zu Tag besser.« Mit diesen Worten eilte er zur Tür und stieß sie mit der Schulter auf.
Es war wohl kaum eine fundierte medizinische Meinung, aber Amelia war überzeugt, dass er Recht hatte. Als sie den Blick über die heruntergekommene Küche gleiten ließ, durchströmte sie ein Gefühl von Glück. Es war die richtige Entscheidung gewesen
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