Pfand der Leidenschaft
Vincent kam auf der Stelle auf sie zu und nahm ihren Arm. »Ihr seht müde aus. Eure Schwestern machen draußen einen Spaziergang, außer Winnifred, die auf der Terrasse Tee trinkt. Habt ihr schon etwas gegessen?«
Amelia schüttelte den Kopf.
»Kommt mit auf die Terrasse, wir werden Euch ein Tablett bringen lassen.«
»Wenn ich Euch irgendwie stören sollte …«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Lady St. Vincent sanft. »Kommt!«
Amelia begleitete sie, berührt von Lady St. Vincents mitfühlendem Gebaren. Dennoch konnte sie ein beunruhigtes Gefühl nicht ganz abschütteln.
»Mylady«, sagte sie, »vielen Dank, dass Ihr mir eines von Euren Kleidern geliehen habt. Ich werde es Euch so rasch wie möglich zurückgeben …«
»Nennt mich Evie«, kam die warme Entgegnung. »Und Ihr müsst das Kleid behalten. Es steht Euch vortrefflich, und an mir sieht es einfach grässlich aus. Dieses spezielle Rot beißt sich mit der Farbe meines Haares.«
»Ihr seid zu gütig«, sagte Amelia und wünschte, sie würde nicht so steif klingen, wünschte, sie könnte das Geschenk annehmen, ohne dass die Verbindlichkeit wie eine schwere Last auf ihr drückte.
Aber Evie schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken, sondern griff nach ihrem Arm und hakte sich beim Gehen bei ihr ein, als müsste man Amelia wie einem kleinen Mädchen den Weg zeigen. »Eure Schwestern werden erleichtert sein, dass Ihr endlich auf seid. Sie sagten, es sei das erste Mal, dass Ihr so lange im Bett geblieben seid.«
»Ich habe leider nicht gut geschlafen. Ich war … mit den Gedanken weit weg.« Eine brennende Röte schoss ihr in die blassen Wangen, während sie sich daran erinnerte, wie sie neben Cam gelegen hatte, mit zerzauster Kleidung, nackt und heiß vor Verlangen,
während ihre Lippen und Hände seinen Körper erkundeten.
»Ja, ich bin überzeugt …« Ein kurzes Zögern, dann fuhr Evie in amüsiertem Ton fort: »Ich bin überzeugt, dass es viel gab, worüber Ihr nachdenken musstet.«
Als Amelia ihrem Blick folgte, erkannte sie sofort, dass Lady St. Vincent auf ihre Hand spähte, die nervös auf ihrem Ärmel lag.
Sie hatte den Ring gesehen.
Amelia ballte die Hand zur Faust und schaute in die neugierigen blauen Augen der Komtesse.
»Das ist in Ordnung«, sagte Evie und nahm lächelnd Amelias Hand, bevor sie sie wegziehen konnte. »Wir müssen reden, Amelia. Ich hatte heute das Gefühl, er sei nicht ganz er selbst. Jetzt kenne ich den Grund.«
Es war unnötig, näher zu erläutern, wer mit »er« gemeint war.
»Mylady … Evie … da ist nichts zwischen Mr. Rohan und mir. Rein gar nichts.« Ihre Wangen brannten. »Was müsst Ihr nun von mir denken!«
Sie blieben vor den Flügeltüren stehen, die auf die Terrasse führten. Amelia schob ihre Hand aus Evies Arm und riss verzweifelt an dem Ring, der hartnäckig an ihrem Finger klebte. Dann blickte sie zu Evie hoch. Zu ihrer großen Überraschung schien Evie keineswegs entsetzt oder empört zu sein, sondern vielmehr verständnisvoll. In ihrem Gesicht war eine zarte Würde herauszulesen, die Amelia unweigerlich denken ließ: Kein Wunder, dass Lord St. Vincent ganz vernarrt in sie ist .
»Ich glaube, Ihr seid eine fähige, junge Frau«, sagte
Evie, »die ihre Familie liebt und eine schwere Verantwortung für sie übernommen hat. Das ist eine große Bürde für eine Frau, um sie allein zu tragen. Außerdem glaube ich, dass Ihr die Gabe besitzt, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Und Cam weiß, wie selten so etwas vorkommt.«
Amelia war angespannt und hatte das ungute Gefühl, etwas verloren zu haben, das sie unbedingt wiederfinden musste. »Ich … ist er denn noch hier? Er sollte längst nach London abgereist sein.«
»Er ist immer noch hier und bespricht sich mit meinem Mann und Lord Westcliff. Sie sind heute Morgen nach Ramsay House geritten, um sich die Folgen des Feuers anzusehen und sich einen ersten Eindruck von den Schäden zu machen.«
Amelia gefiel der Gedanke nicht, dass sie ihr Anwesen betraten, ohne vorher sie oder Leo um Erlaubnis gefragt zu haben. Die Angelegenheit wurde gehandhabt, als seien die Hathaways nichts weiter als ein Haufen hilfloser Kinder. Eigensinnig straffte sie die Schultern. »Das war sehr freundlich von ihnen, aber ich kann die Sache nun selbst in die Hand nehmen. Ich vermute, dass ein Teil von Ramsay House immer noch bewohnbar ist, was bedeutet, dass wir nicht länger auf die Gastfreundschaft von Lord und Lady Westcliff angewiesen sind.«
»Oh, aber Ihr
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