Pfand der Leidenschaft
müsst bleiben«, erwiderte Evie rasch. »Lillian hat bereits verkündet, dass Ihr so lange willkommen seid, bis Ramsay House vollständig renoviert ist. Das hier ist solch ein weitläufiges Gebäude, dass Ihr sie auf gar keinen Fall stören würdet. Außerdem werden Lillian und Lord Westcliff mindestens zwei Wochen verreist sein. Sie brechen morgen
nach Bristol auf – zusammen mit Lord St. Vincent und meiner Wenigkeit -, um Lillians jüngere Schwester Daisy zu besuchen, die ein Kind erwartet. Dann hättet Ihr das Haus ganz für Euch allein.«
»Und hätten das Anwesen bis zu Eurer Rückkehr in Schutt und Asche gelegt.«
Evie lächelte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eure Familie so gefährlich ist.«
»Ihr kennt die Hathaways nicht.« Da Amelia das dringende Bedürfnis verspürte, ihr Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen, fügte sie rasch hinzu: »Nach dem Frühstück werde ich selbst nach Ramsay House reiten. Sollten die Zimmer im oberen Stockwerk sicher sein, wird meine Familie noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zurückkehren.«
»Haltet Ihr das für die beste Lösung für Win?«, fragte Evie sanft. »Oder für Mr. Merripen und Lord Ramsay?«
Amelia errötete, wusste sie doch tief in ihrem Herzen, dass sie unvernünftig war. Aber ein schreckliches Ohnmachtsgefühl und die Angst, nicht mehr Herr über ihr eigenes Handeln zu sein, breitete sich in ihr aus und drohte sie zu ersticken.
»Vielleicht solltet Ihr erst mit Cam darüber sprechen«, schlug Evie vor, »bevor Ihr eine Entscheidung trefft.«
»Meine Entscheidungen gehen ihn nichts an.«
Evie bedachte sie mit einem gedankenvollen Blick. »Vergebt mir. Ich hätte keine voreiligen Schlüsse ziehen dürfen. Es ist nur der Ring an Eurem Finger … Cam trägt ihn seit seinem zwölften Lebensjahr.«
Amelia zerrte unbarmherzig an dem Schmuckstück. »Ich weiß nicht, warum er ihn mir gegeben
hat. Wahrscheinlich hat das überhaupt nichts zu bedeuten.«
»Ich denke, dass es sehr viel zu bedeuten hat«, sagte Evie leise. »Cam ist schon sein ganzes Leben ein Außenseiter. Selbst als er bei den Roma gelebt hat. Ich vermute, dass er insgeheim gehofft hat, es gäbe irgendwo einen Ort, zu dem er ganz und gar gehört. Aber bis er Euch getroffen hat, ist es ihm wohl nicht in den Sinn gekommen, dass es womöglich kein Ort, sondern eine Person ist, nach der er sucht.«
»Ich bin nicht diese Person«, flüsterte Amelia. »Wirklich, das bin ich nicht.«
Evie warf ihr einen mitleidvollen Blick zu. »Das ist natürlich Eure Entscheidung. Aber ich kenne Cam nun schon seit geraumer Zeit, und ich kann Euch versichern … er ist ein guter Mann, zuverlässig und vertrauenswürdig.« Sie schob die Flügeltüren auf. »Eure Schwestern sind draußen«, sagte sie. »Ich werde Euch Euer Mittagessen bringen lassen.«
Es war ein feuchter, frischer Tag, die Luft erfüllt vom köstlichen Duft nach Heu, Rosen und Wildblumen. Von der Terrasse hatte man einen prächtigen Blick auf die sorgfältig gepflegten Gärten, die durch Schotterwege miteinander verbunden waren. Tische und Stühle standen auf der mit großen Steinplatten gefliesten Terrasse, doch da der Großteil von Lord Westcliffs Gästen am Ende der Jagdsaison wieder abgereist war, saßen nur wenige Menschen im Freien.
Als Amelia ihre Schwestern an einem der Tische sitzen sah, gesellte sie sich eilig zu ihnen. »Wie geht es dir?«, fragte sie Win. »Hast du gut geschlafen? Musstest du viel husten?«
»Mir geht es gut. Wir haben uns allerdings um dich gesorgt – du schläfst nur so lange, wenn du krank bist.«
»O nein, ich bin nicht krank, es könnte mir gar nicht bessergehen.« Amelia lächelte sie gekünstelt an und blickte zu ihren beiden anderen Schwestern, die beide neue Kleider trugen. »Beatrix … du siehst wunderhübsch aus. Wie eine junge Dame.«
Beatrix stand lächelnd auf und drehte sich Amelia zuliebe einmal im Kreis. Das hellgrüne Kleid mit dem plissierten Stoff am Brustteil und dem dunkelgrün leuchtenden Saum passten ihr wie angegossen, während die Unterröcke vornehm bis zum Boden fielen. »Lady Westcliff hat es mir geschenkt«, sagte sie. »Es gehörte ihrer jüngeren Schwester, die es nicht mehr tragen kann, weil sie auf die Niederkunft ihres Kindes wartet.«
»O Bea …« Als Amelia die Freude sah, die das elegante Kleid ihrer Schwester bereitete, stieg ein plötzliches Gefühl des Bedauerns in ihr auf. Beatrix sollte eigentlich eine Schule für Höhere Töchter besuchen, wo sie
Weitere Kostenlose Bücher