Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Besucher auch Geschenke für den Missionar. Mit dem geübten Blick der Pfarrerstochter sah ich es gleich an den prallgefüllten Taschen, wenn sie kamen und dem leeren Beutelchen, wenn sie wieder abzogen. Wie gemein sie waren! Vatis Geburtstag hatten sie im letzten Jahr vergessen! Nicht einmal ein Blumenstrauß wurde im Pfarrhaus abgegeben.
Nach einer solchen Evangelisationswoche, der Missionar packte gerade seine Koffer, schlachtete ich mein Sparschwein und kaufte ein kleines Primeltöpfchen. Zwischen die Blüten steckte ich einen Zettel, worauf geschrieben stand »Für unseren hochverehrten und geliebten Herrn Pfarrer, von einem dankbaren Gemeindeglied«. Eigentlich hatte ich »heißgeliebten Herrn Pfarrer« schreiben wollen, ließ das dann aber bleiben, um Mutti nicht zu verärgern. Ich stellte das Blumenstöckchen vor die Haustür, klingelte und fuhr wie der Blitz durch das Hoftor und den Hintereingang wieder ins Haus. Mutti öffnete. Vati und der Missionar saßen noch bei einer letzten Tasse Kaffee zusammen. Ich hatte diesen Zeitpunkt gewählt, weil ich wollte, daß sich der Missionar vor seinem Abschied noch einmal von Herzen ärgern sollte, indem er nämlich feststellen mußte, daß hier auch andere Gottesmänner verehrt und beschenkt würden. Vati dagegen sollte eine Freude haben und einen Triumph. Leider konnte ich nicht miterleben, wie das Geschenk überreicht wurde. Es wäre sicher aufgefallen, hätte ich mich ohne plausiblen Grund ins Studierzimmer gedrängt. Aber beim Abendessen zeigte Vati das Primelchen herum und beteuerte unermüdlich, wie sehr ihn dieses Angebinde erfreue. Der Blumentopf stand auf seinem Schreibtisch bis die letzte Blüte verwelkt war.
Leider konnte auch ich keiner Bekehrung widerstehen. Ich bekehrte mich äußerst ungern und erst nach langem Sträuben. Es war mir peinlich, daß mir dasselbe zustieß, was ich bei den anderen so herzhaft verspottet hatte. Die ersten vier Abende überstand ich ohne tiefe Gemütsbewegung. Oft mochte ich den Missionar nicht leiden, meistens trauerte ich um meinen Vater und immer ärgerte ich mich über die Leute.
In die zweite Hälfte der Evangelisation fiel aber mit Sicherheit ein Vortrag über das sechste Gebot: »Die Heiligkeit der Ehe, den züchtigen Lebenswandel und die reinen Gedanken«. An diesem Abend kam meine Selbstsicherheit ins Wanken. Der Prediger sprach darüber, wie sehr wir alle sündigten in Bezug auf dieses Gebot. Und nicht nur die Eheleute täten dies, sondern auch und ganz besonders die jungen, unverheirateten Leute. Er sah uns durchdringend an und fragte, wie es denn mit unseren Gedanken stünde, ob sie etwa keusch und züchtig wären oder ob wir sie ängstlich vor aller Welt verbergen müßten und uns sündig bekennen?
Ja, ich für meinen Teil mußte es. Mein Gewissen war in dieser Hinsicht schwer belastet, denn meine Gedanken scheuten das Licht des Tages. Der Prediger hatte es richtig erkannt und mich in meiner ganzen Verderbtheit durchschaut. Ich ging nach Hause, hart angeschlagen, schloß mich in mein Zimmer ein und rang mit mir. Ach, wie gerne wäre ich ein neuer Mensch geworden, der alte war mir ganz und gar zuwider, hätte ich nur die Bekehrung umgehen können!
Der letzte Vortrag nahte und mit ihm meine Kapitulation. Das Thema lautete: »Tod und Auferstehung« oder »Das Jüngste Gericht«.
Die Drohungen des Predigers und meine eigene Angst vor Tod, Verdammnis und Hölle besiegten den letzten Widerstand und brachten meine Sicherheit vollends zu Fall. Zerschlagen und verängstigt ging auch ich in die Sakristei zu dem Missionar und beichtete. Ich kratzte alle kleinen und großen Sünden zusammen, die ich jemals getan hatte und erfand noch ein paar deftige dazu, um meinen Fall interessanter zu machen. Dies alles bot ich dem Beichtvater zu trauriger Betrachtung und nachfolgender Vergebung an. Danach kehrte ich tränenüberströmt und strahlend als Bekehrte wieder heim. Ich hatte dem Herrn Jesus mein Herz geschenkt.
Ein paar Wochen lang besiegte ich meine »Morgenkrankheit« und stand früh auf, um ein Kapitel aus der Bibel zu lesen und zu beten. Ich gab mir Mühe, freundlich zu den Geschwistern zu sein, auch wenn sie sich noch so widerlich benahmen.
Ich lächelte mit verkniffenen Lippen, wenn sie mich ärgerten und nahm mein Kreuz auf mich. Doch brach ich schier darunter zusammen.
»Seid still, da schwebt unser Engel herein!« so oder ähnlich pflegte der freche Michael zu rufen, wenn ich ins Zimmer trat.
Ich betete
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