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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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darum, daß es mir gelingen möge, diesen Bruder zu lieben wie mich selbst, aber es juckte mich in allen Fingern vor Verlangen, ihm eins auf die Nase zu geben. Meine Geschwister nutzten meinen Seelenzustand schamlos aus, ließen mich alle ungeliebten Arbeiten verrichten und holten sich meine Bücher und Buntstifte, ohne zu fragen. Unter diesen Anfechtungen erlahmte mein frommer Eifer schon nach kurzer Zeit, und die alte Eva ergriff wieder von mir Besitz. Ich mußte erkennen, daß der Herr keineswegs eine neue Kreatur aus mir gemacht hatte, sondern daß ich die gleiche kratzbürstige Person geblieben war. Als ich eines Tages entdeckte, daß jemand die heißgeliebten Schokoladeplätzchen aus meiner Schreibtischschublade gestohlen hatte, war es um meine Heiligkeit vollends geschehen. Ich stürzte ins Bubenzimmer und fand Christoph mit schokoladeverschmiertem Mund.
    »Du Kerl!« schrie ich, »du elender Bursche! Wart, ich werd dich lehren, deine Schwester zu beklauen!«
    Er streckte mir die Arme entgegen, er lachte mit verklärtem Gesicht.
    »Gott sei Dank! Bisch wieder meine Alte!«
    War es Erleichterung, die aus seinem Gesicht strahlte, war es Diplomatie? Mir sollte es gleich sein! Das hartejoch der Selbstüberwindung war von mir genommen, ich durfte wieder ich selber sein. Wir zankten uns nach Herzenslust, kein Mensch trauerte dem Engel nach.
    Nach all diesen Erfahrungen war ich nicht darauf erpicht, auch in Weiden Evangelisationen mitzuerleben. Wenn sich die Leute bekehren wollen, so dachte ich, können sie das jeden Sonntag im Gottesdienst tun. Es war auch gar nicht vonnöten, für unser kleines Dörflein eine Extrawurst zu braten und einen redegewaltigen Prediger zu bemühen, denn alle zwei Jahre fand im Bezirk eine Zeltmission statt. Vor dem Städtchen stand ein gewaltiges Zelt, groß genug, alle Frommen und noch viele Sünder des Bezirks aufzunehmen. Dort predigte allabendlich ein Missionar, Posaunenbläser spielten, Evangeliumschöre sangen, Bekehrte legten Zeugnis ab. Alles war getan, um eine Erweckung des Bezirkes in die Wege zu leiten. Über den ersten Abend hörte man Erstaunliches. Die vereinten Posaunenchöre hätten so umwerfend geblasen, daß zwar nicht die Mauern der Stadt, wohl aber »die Sündenfestungen in den Herzen der Menschen fielen«. Der Missionar hätte nicht nur wundervoll und erschütternd gepredigt, nein, er wäre zu allem hin auch noch jung und hübsch gewesen! Nach diesen Meldungen, besonders nach der letzten, fühlte auch mein Mädchenkreis das dringende Bedürfnis, diese Evangelisation zu besuchen. Manfred bestellte einen Omnibus. Zusammen mit einigen Stundenleuten und Gemeindegliedern fuhren wir ins Städtchen. Vom Festplatz her ertönte Posaunenblasen: »Kommt her, des Königs Aufgebot...«. Es hätte keiner besonderen Aufforderung bedurft, die Leute strömten auch so in hellen Scharen herbei. Wir strömten mit und ergatterten ganz hinten noch Platz, auf harten Bänken ohne Lehnen. Eingekeilt in die fromme Menge ergriff uns Begeisterung. Die Posaunen spielten, die Chöre sangen — und dann kam er, schön wie ein junger Gott (jedenfalls vom Blickwinkel der letzten Bänke aus). Er sprach mit wohlklingender Stimme, leise und eindringlich. Ich mußte mit Erstaunen bemerken, daß in der Menge ein Schluchzen anhub. Auch meine nüchternen Mädchen griffen nach den Taschentüchern, schneuzten sich und heulten schließlich ungehemmt drauflos.
    Nach Schluß der Vorstellung, auf dem Weg zum Omnibus, weinten sie noch immer leise vor sich hin. Einige kehrten um, da sie mit dem Missionar sprechen wollten. Nach langer Zeit kamen sie wieder und stiegen in den Bus, von überirdischem Glanz umfangen. Sie saßen still und verklärt auf ihren Plätzen. Die Unbekehrten musterten sie mit spöttischen und ein wenig neidvollen Blicken.
    Am nächsten Abend fuhren wir wieder zur Zeltmission. Der Omnibus war zum Bersten voll, das Zelt auch. Alles verlief wie am Abend zuvor, nur war es noch viel, viel schöner. Die Neubekehrten saßen mit glückseligen Gesichtern in der Versammlung, die anderen rangen noch hart mit sich und weinten sehr. Wieder mußten wir lange im Bus warten, bis unsere Bekehrten, entrückt in höhere Sphären, den Bus bestiegen.

Ein polnisches Wunder und schmelzende Eisheilige

    Als die Mission das Zelt abbrach, um neue Bezirke zu erobern, begann für mich eine harte Zeit. Alle Mädchen meines Kreises hatten sich bekehrt. Frau Pfarrer war nicht mehr fromm genug.
    Wie ich das kannte!
    Auch

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