Pfarrers Kinder Muellers Vieh
vorsichtig zu den beiden hinein. Mutti lehnte mit bleichem Gesicht in den Kissen, Tante Friedel saß neben dem Bett und las vor. »Pickdewick, mach Rühreier!« sagte meine Mutter, »aber schnell, Vati wird gleich kommen!«
Rühreier gab es schon die ganze Zeit seit Mutti krank war. Es war das einzige Gericht, das Beate und ich zubereiten konnten. Ich ging an die Arbeit. Gitti kam aus dem Garten, wohin sie sich verkrochen hatte, als sie hörte, daß Türen geschlagen wurden. Sie brach in Tränen aus, als sie das wohlbekannte Eiermischmasch sah.
»Ach, immer so was! Kannsch nich mal a Süpple mache?« So ergab es sich, daß Tante Friedel still, schön und sanft durch das Haus schwebte, den Tisch mit Blumen schmückte und sich an Muttis Bett setzte. Wir Kinder plagten uns mit dem Kochen und der groben Hausarbeit herum.
Was nach drei Tagen passierte, weiß ich nicht genau, denn ich war in der Schule. Als ich heimkam, verließ Tante Friedel gerade das Haus. Aus ihren sanften Augen tropften Tränen, ihre Lippen zitterten hysterisch. Sie stieg in ein Taxi, ohne mich nach ihrer Gewohnheit lieb und innig zu küssen. Nur die beiden Kleinen waren zu Hause gewesen. Sie standen im Garten, hielten sich bei den Händen und platzten schier vor der Fülle der Ereignisse, die sie soeben miterlebt hatten.
Gitti berichtete mit zitternder Stimme: »Vati hat sie nausdesmissen. Er hat desakt, die Tinder hungern, un du siehst es nich. Un denn hat sie desakt, sie wär teine Martha. Un Vati hat desakt, ja leider, er hätt es schon demerkt. Un denn hat sie deweint, un Vati hat des furchbare Wort zu ihr desakt!«
»Welches furchtbare Wort? Komm Christoph sag’s. Gitti, sag mir’s!«
Sie holten tief Luft, spitzten den Mund und tönten im Duett »Spinatwachtel!!«
»Un denn«, sagte Gitti, »hat sie laut deheult, un Vati hat die Tür zudesmissen, un Mutti hat desrien, was is denn Paul-Derhard, un denn sind wir in Darten delaufen!«
Der erste Mädchenkreis nach der Evangelisation nahte. Ich erwachte morgens schon mit einem bangen Gefühl in der Magengegend.
»Manfred, ich hab Angst vor dem Mädchenkreis!«
»Ach was« sagte er, »da brauchst du keine Angst zu haben, die sind auch nicht anders als sonst!«
Aber im Laufe des Tages wuchs meine Beklemmung. Ich bekam Migräne, Durchfall und alle anderen »Kreisangstsymptome«, wie sie meine Mutter nicht besser hätte produzieren können. Krank an Seele, Kopf und Magen schlich ich um acht Uhr hinunter ins Räumle. Kein Lachen, kein Geschrei!
»Sie haben dich versetzt!« dachte ich verwundert, »sie sind einfach nicht gekommen!« Ich öffnete dieTür. Da saßen sie brav um den Tisch herum, hielten die Hände fromm auf der Bibel gefaltet und schwärmten von den reichen Tagen, die hinter ihnen lagen und von der Schönheit des Predigers. »I han en ganz aus der Näh gsehe!« sagte Trudel, die kleine Bäckerstochter und drehte die Augen verzückt nach oben.
Mich begrüßte man freundlich, aber reserviert. Was konnte ihnen von mir schon Gutes kommen? Ach, daß ich auch vor lauter Angst vergessen hatte, meine biblischen Frauengestalten neu aufzupolieren. Wie trefflich hätten sie in diesen Kreis heiliger Jungfrauen gepaßt!
»Wollen wir etwas singen?« schlug ich zaghaft vor.
Ja, sie wollten singen, aber keinesfalls die weltlichen Lieder von einst, als sie noch in der Verblendung gelebt, sie wollten die Erweckungslieder singen vom Zelt seligen Angedenkens. Sie taten mir wirklich leid. Ich wußte, wie ihnen zumute war. Sie sehnten sich schmerzlich zurück nach der Zeit, in der sie erschüttert worden waren, in der eine höhere Macht sie angerührt hatte. Alles, was ich heute tun und sagen würde, mußte sie notwendig enttäuschen, denn ich war nun einmal kein schöner junger Mann, hielt keine mitreißenden Reden, hatte keine Posaunen und Chöre zur Hand. Wir saßen allein im nüchternen Räumle und sangen die Lieder vom Zelt, aber es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Dort brauste der Gesang, hier klang er nur matt. »Der Geist des Herrn weht, wo er will«; hier wehte er jedenfalls nicht.
»Habt ihr Lust zum Spielen?« Das hätte ich nicht fragen dürfen, denn nun hatte ich mich und meine Unbekehrtheit entlarvt. Sie wandten sich enttäuscht von mir ab. Nein, sie wollten nicht spielen, sie hatten sich etwas anderes von diesem Abend erhofft.
»Kommt, erzählt mir ein bißchen von euch! Erzählt mir, wie es euch geht seit der Evangelisation!«
O, es ginge ihnen wundervoll! Jeden Tag
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