Pfarrers Kinder Muellers Vieh
nach meinen zahlreichen Bekehrungen fand ich immer, daß Vatis Predigten zu liberal, Muttis Frauenstunden zu weltlich waren. Ich litt still vor mich hin und sagte nichts, denn ich wollte sie in Geduld und Liebe ertragen, aber ich gedachte ihrer Seelen im Gebet.
Einmal allerdings konnte ich mich nach einem Gottesdienst nicht mehr zurückhalten und sagte in aller Liebe zu meinem Vater, daß ich es eigentlich nicht verstünde, warum er in der Predigt über Maria und Martha, die Martha habe so glimpflich davonkommen lassen und nicht mehr Worte des Lobes für Maria gefunden habe. Maria habe doch schließlich das rechte Teil erwählt, indem sie sich zu den Füßen des Herrn hinkauerte, um seinem Wort zu lauschen, währenddessen Martha den Augenblick des Heils verstreichen ließ, nur um Essen zu kochen und dergleichen unwichtige Dinge zu tun. Vati hörte mir ernsthaft zu, überlegte ein Weilchen und sagte dann:
»Du hast völlig recht. Für den Augenblick hat Maria das Richtige getan, aber auf längere Zeit würde ich mich unbedingt für Martha entscheiden. Ohne Essen und dergleichen unwichtige Dinge kann man leider nicht leben. Denk an Tante Friedel, Kind!«
Mir lief trotz aller Heiligkeit ein Schauder über den Rücken.
»Kommt sie?« fragte ich entsetzt.
»Noch hat sie sich nicht angemeldet, aber sie kann jeden Augenblick über uns hereinbrechen. Und wenn sie da ist, dann überlege dir mal, wer dir lieber ist, Maria oder Martha!«
Tante Friedel war tatsächlich ein Marientyp. Sie trug linnene Gewänder, hatte einen Knoten und sanfte braune Augen. Sie kam zu uns, als Mutti krank im Bett lag, und Else, unsere kratzbürstige und tüchtige »Martha«, noch nicht bei uns war. Tante Friedel schwebte ins Haus, nahm uns Kinder nacheinander in den Arm, schaute uns innig in die Augen und drückte uns einen Kuß auf die Wange.
»Ich werde viel Zeit für euch haben«, sagte sie, und sie hatte viel Zeit für uns, denn sie dachte nicht daran, in die Küche zu gehen und Essen zu kochen. Sie setzte sich an Muttis Bett und sprach lange mit ihr.
Ich kam ins Schlafzimmer, schaute demonstrativ auf die Uhr und versuchte deutlich zu machen, daß es höchste Zeit sei, ans Essen zu denken.
»Friedel«, sagte meine Mutter, »ich genieße es sehr, daß du dir soviel Zeit für mich nimmst, aber weißt du, die Kinder haben Hunger. Ich wäre dir so dankar, wenn du das Essen richten würdest.«
Tante Friedel war sofort bereit. Sie ging in den Garten und pflückte Blumen, um den Tisch zu schmücken. Sie deckte ihn mit Liebe und lehnte an jeden Teller eine Spruchkarte. Vati kam aus seinem Studierzimmer.
»Friedel, ich habe um zwei Uhr eine Beerdigung. Meinst du, wir können vorher noch essen?«
»Aber ja natürlich, mein Lieber!« rief sie. Da war es bereits ein Uhr.
Sie eilte in die Küche und schmückte das Essenstablett für Mutti mit Blumen und Spruchkarte.
»Ihr Herz soll ganz froh werden, wenn sie es sieht«, so sagte sie zu mir. Ich schielte zaghaft nach dem Herd, auf dem noch kein einziger Topf stand.
»Tante Friedel, kann ich dir was helfen beim Kochen?«
»O nein, mein Kind, das hat Zeit!« rief sie fröhlich, »eben fällt mir ein, ich muß Paul-Gerhard noch fragen, welchen Beerdigungstext er sich ausgewählt hat. Es wird ihm gut tun, mit mir darüber zu sprechen!«
Sie lief die Treppe hinauf und verschwand im Studierzimmer. Um dreiviertel zwei Uhr stürmte Vati aus eben diesem Zimmer, gefolgt von Tante Friedel. Er riß zornig die Schranktür auf, griff nach seinem Talar, zog ihn über, und Tante Friedel knöpfte demütig all die vielen Knöpfe zu. Ich lugte vorsichtig um die Ecke und bemerkte, daß Vati so wütend war wie nie. Er sagte nicht einmal »Adieu«, sondern packte die Bibel, rannte aus dem Haus und warf die Tür hinter sich zu. Tante Friedel lächelte mild, ging vor die Haustür und winkte dem flatternden Talarrücken ein Lebewohl zu. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sie ihm auf die Nerven ging. Ich sah es mit Erstaunen. Vati war selten wütend, wenn ihn aber der Zorn packte, dann war dies schwer zu übersehen.
»Kind«, sagte Tante Friedel und legte zu den Spruchkarten auch noch Blümchen neben jeden Teller, »Kind, spricht deine Mutter eigentlich nie mit deinem Vater über seine Predigttexte? Sie sollte es unbedingt tun, denn er braucht es, daß ihm ein liebender Mensch zuhört! Ich muß ihr das gleich sagen!«
Schon eilte sie wieder die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Nach einer halben Stunde schaute ich
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