Pfarrers Kinder Muellers Vieh
würden sie ein Kapitel aus der Bibel lesen! Sie folgten dem Herrn nach und versuchten so zu leben, wie er es wollte!
»O, ihr Heuchler!« dachte ich zornig. »O, ihr Pharisäer! Da wollt ihr nach des Herrn Willen leben und seid so abscheulich zu mir!«
Und dann sah ich mich selber, damals, nach meinen Bekehrungen, die Hände fromm auf der Bibel gefaltet, ein überhebliches Lächeln auf den Lippen.
»Lieber Gott, verzeih mir, daß ich so widerlich zu meinen Leuten war, als ich dir nachfolgen wollte! Bitte mach doch, daß die Mädchen wieder nett werden!«
Dies alles dachte ich und sprach dann die Worte: »Habt ihr schon einmal ein Wunder erlebt?«
Sie sahen erstaunt auf. Natürlich hatten sie schon Wunder erlebt. Viele, jeden Tag bewies der Herr seine Größe! Vor einer Woche, als ihnen die Augen geöffnet wurden, und sie die Herrlichkeit Gottes sahen, war das vielleicht kein Wunder?
»Sogar ein Pfarrer soll sich bekehrt haben!«
Ich traute meinen Ohren nicht. Diese Worte hatte Annegret gesprochen, ein lustiges Mädchen, stets zum Lachen und Scherzen aufgelegt. Jetzt saß sie da mit süßlichem Lächeln, die braunen Locken zu einem Dutt auf den Kopf gesteckt. Mir brauste das Blut in den Ohren, so zornig war ich.
»Du kleines Biest!« dachte ich, »na warte, du wirst auch noch Ärger zu Hause bekommen mit deinem lächerlichen Dutt und deiner aufgesetzten Frömmigkeit! Deine Brüder werden dich ganz schön fertig machen, du weißt nur noch nicht, was auf dich wartet!« Sie tat mir fast leid.
»Ich möchte euch von Wundern erzählen, die ich selber erlebt habe.«
Mit ungläubigem Erstaunen wurde mir bewußt, daß ich offensichtlich bereit war, ein Stückchen strengverborgene Erinnerung auszukramen. Noch dazu für diese Mädchen, die mich eben so geärgert hatten. »Jetzt willst du ihnen Eindruck machen und sie wieder für dich gewinnen! Schäm dich! Laß die alte Geschichte ruhen!«
»Es war einmal ein kleines Mädchen...«, so begann ich und kleidete die Geschichte in Märchenform, um sie erträglicher zu machen.
»Also, es war einmal ein kleines Mädchen von sieben Jahren, das lebte in Polen in einem schönen Pfarrhaus. Um das Haus herum wuchsen viele Birnbäume in einem großen Garten. Ein paar Meter vom Haus entfernt stand die Kirche. Das kleine Mädchen hatte vier Geschwister, sieben Puppen und einen Kanarienvogel. In der Küche gab es eine polnische Köchin, die wunderbar kochte und fürchterlich fluchte.
Im September 1939 rückten deutsche Truppen in Polen ein. Da gerieten die Polen in Wut und erschlugen alle Deutschen, die ihnen in die Hände fielen. Viele Deutsche hatten das vorausgesehen und waren vorher aus dem Lande geflüchtet. Aber die Eltern des kleinen Mädchens wollten bei ihrer Gemeinde bleiben und waren überhaupt der Ansicht, daß immer der schwerere Weg der richtige sei. Sie hatten in der Kirche eine unterirdische Kammer entdeckt. Dorthin schleppten sie Geld und Schmuck, warme Decken und haltbares Essen. An diesem sicheren Ort wollten sie sich mit den Kindern verstecken, sobald der Aufruhr losbräche. >Hoffentlich geschieht unserem Vater nichts! Hoffentlich darf er bei uns bleiben. Ihr müßt ganz fest darum beten!< so sagte die Mutter zu den Kindern, und sie beteten auch ganz fest darum.
Als der Aufruhr aber losbrach, kam morgens die Polizei ins Haus und holte ihren Vater ab, um ihn ins Gefängnis zu bringen. Da weinten sie alle und dachten, Gott hat unser Gebet nicht erhört, denn er hat uns nicht geholfen.
Die Mutter wollte sich mit den Kindern in der unterirdischen Kammer verstecken, aber sie wagte nicht, das Haus zu verlassen, denn der Garten war voller Menschen, die Knüppel und Messer in den Händen hatten und sehr gefährlich aussahen.
Da weinte das kleine Mädchen wieder und dachte, Gott ist vielleicht schwerhörig, oder er mag uns nicht, denn er hat unser Gebet nicht erhört, sonst hätte er uns in das Versteck gehen lassen, wo wir sicher gewesen wären.
Am Morgen hatte das kleine Mädchen in der Glasveranda mit seinen Puppen gespielt. Dann kamen die schreienden Leute in das Haus hinein, und es mußte in den Keller gehen und die Puppen oben alleine lassen. Es hielt sich die Ohren zu, aber es hörte trotzdem, wie eine Puppe nach der anderen an die Wand geworfen wurde und zerbrach, denn es waren lauter Porzellanpuppen.
Dann kam die polnische Köchin in den Keller und sagte: >Pastorka, wir müssen hier weg!< Sie packte die Kinder und schob sie die Kellertreppe hinauf ins
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