Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Manfred im wehenden Talar. Er allein betrat das Trauerhaus, der Leichenchor stellte sich seitlich von der Haustüre auf, die Dorfbewohner standen in schwarzen Reihen im Hof. Durch das offene Fenster ertönte Manfreds Stimme: »Wohlauf, wohlan, zum letzten Gang, kurz ist der Weg, die Ruh ist lang. Gott führet ein, Gott führet aus. Zum Bleiben war nicht dieses Haus.« Das war unser Stich wort. Mein Zeigefinger lag schon auf dem richtigen Ton der Stimmscheibe, ich brauchte nur noch zu blasen. Dann sangen wir. Derweil hievten die Träger den Sarg die Stiegen hinunter, trugen ihn durch den Hof und schoben ihn in den Leichenwagen. Manfred kam aus dem Haus, ihm folgten die Leidtragenden mit den Kränzen, meist gefaßt und in stiller Trauer. Der Zug setzte sich in Bewegung. An der Spitze ging der Leichenchor, gemessenen Schrittes, ihm folgte der Leichenwagen. Die Pferde, die ihn zogen, wurden reihum ausgeliehen. So waren sie manchmal alt und träge, manchmal jung und wild.
Auch der Kutscher hatte seine müden und munteren Tage. Im Winter wärmte er sich vor der langen kalten Fahrt reichlich mit Schnäpsen auf. Dann war ihm wohl ums Herz, dann fuchtelte er mit der Peitsche, so daß die Pferde nervös tänzelten.
Ich ging im Leichenchor im vordersten Glied. Trotzdem äugte ich immer wieder ängstlich nach hinten, um bei einem Ausbrechen der Gäule sofort über den nächsten Zaun klettern zu können. Die Mädchen zeigten keine Angst. Sie wußten mit Pferden umzugehen. Roch der Kutscher aber sehr stark nach Schnaps, dann eilten auch sie schnellen Schrittes voran, um einen größeren Abstand zwischen sich und die Pferde zu bringen. Im Sommer war das Gespann meist müde, auch der Kutscher döste vor sich hin. So schlichen wir im Zeitlupentempo unseres Weges. Hinter dem Leichenwagen schritt Manfred, das Barett auf dem Kopf, die Agende unter dem Arm. Es folgten die Leidtragenden, nach ihnen die Männer des Dorfes, dann die Frauen. Am Straßenrand standen die Kinder mit gefalteten Händen. Die Glocken läuteten. Auch unsere Buben liebten das Schauspiel des Beerdigungszuges. Bei dem ersten Glockenton rannten sie hinunter zur Brücke, dort mußte der Zug auf jeden Fall vorbeikommen. Die Brücke lag an der tiefsten Stelle des Dorfes. Vorher ging es den Berg hinunter. Es bedurfte großer Geschicklichkeit des Kutschers, den Trab der Pferde rechtzeitig zu zügeln, und mit einer scharfen Drehung nach rechts in die schmale Brücke einzuschwenken. Man erzählte sich, daß ein Kutscher diese Kurve einmal nicht richtig eingeschätzt habe. Das Rad des Leichenwagens sei hart an die Brückenmauer geschlagen, worauf Kutscher und Sarg in den Bach geflogen, der Sarg ein Stückchen geschwommen und dann im Ufergebüsch hängen geblieben sei. Der Kutscher sei ans Ufer gekrochen, ohne Hut und pitschnaß, dafür aber heilsam ernüchtert. Starke Männer hätten den Sarg wieder eingefangen, ihn auf den Wagen gestellt, und dann sei die Fahrt weitergegangen. Nach Betrachtung des Manövers an der Brücke, liefen die Kinder den Berg hinauf und standen, wenn der Leichenchor auftauchte, bereits mit gefalteten Händen auf halber Höhe am Pfarrgartenzaun. Sie ließen den Zug vorbei, um alle Einzelheiten, die Pferde, Menschen und Kränze gebührend bewundern zu können, und rannten dann aufSchleichwegen zum Friedhof hinauf. Dort setzten sie sich an übersichtlicher Stelle auf die Mauer, um den letzten Akt des Schauspiels mitzuerleben.
Auch der Leichenchor hatte im Friedhof genügend Zeit, das ausgeschaufelte Grab zu suchen und sich in der Nähe aufzustellen. Wir wählten nie einen Platz direkt am Grab. Denn war es regnerisch, der Boden feucht und der Totengräber bei schlechter Laune, dann mußte man befürchten, mit dem abrutschenden, weil schlecht gestützten Erdreich in das Grab zu gleiten.
Dergleichen war schon passiert. Ein Leidtragender, der sich zu nahe an den Grabesrand gewagt hatte, um dort mit gesenktem Kopf ein Weilchen andächtig zu verharren, war ins Rutschen geraten. Nur durch einen gewaltigen Sprung über das Grab hinweg hatte er einen tiefen Sturz vermeiden können.
Wir stellten uns also in gutem Abstand vom Grabe auf und nahmen unsere Liederbücher vor. Der Sarg wurde durch den Kirchhof getragen, die Trauergemeinde verteilte sich zwischen den Gräbern. Der Leichenwagen rumpelte wieder abwärts ins Dorf. Ein Teil der Kinder saß mit auf, um heimzufahren.
»Net lache, Frau Pfarrer!« mahnten die Mädchen, »was werdet die Leut sage?«
So
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