Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Trauerzug neben dem Pfarrer. Sie hielt einen Schirm über ihn, damit sein geheiligtes Haupt nicht naß werde. Da sie aber viel kleiner war als Manfred, entbehrte auch diese hilfreiche Geste nicht der Komik. Die Mesnerin trippelte auf den Zehenspitzen, Manfred dagegen ging knickebeinig und tief gebückt. Der Talar schleifte am Boden. Trotz aller Bemühungen saß der Schirm direkt auf dem Barett.
Auch auf dem Friedhof ließ die treue Frau ihren Pfarrer nicht unbeschirmt im Regen stehen. Sie hatte sich vorher einen Hocker bereitgestellt. Denselben bestieg sie und hielt nun den Schirm in richtiger Höhe über den Pfarrer. Mit der Zeit aber gruben sich die Beine des Hockers immer tiefer in die aufgeweichte Erde, denn war die Mesnerin auch klein, dünn war sie nicht. Der Schirm senkte sich über das Haupt des Predigers. Die letzten Sätze der Ansprache kamen nur mehr gedämpft unter dem Schirm hervor.
Beim Lebenslauf der Entschlafenen beschränkte sich mein Mann nur auf die wichtigsten Daten. Allzu Persönliches ließ er weg. Auch der für unsere Bauern so wichtige Satz »Er hat bis zum letzten Tag geschafft«, kam in den Lebensläufen nicht vor. Er legte ein Bibelwort aus, und dachte dabei mehr an die trostbedürftigen Hinterbliebenen als an den Verstorbenen. Einige Monate nach unserem Einzug in Weiden merkten wir, wie klug diese Handlungsweise war. Wir besuchten Gemeindeglieder in abgelegenen Höfen und kamen an ein verkommenes Bauernhaus im Walde. Der Besitzer empfing uns mit tiefem Widerwillen. Nicht einmal den Mostkrug holte er herbei. Das war uns noch nie passiert. Er schien seinen Durst schon vorher gestillt zu haben, denn die Zunge saß ihm locker. Was wir bei ihm zu suchen hätten, wollte er wissen, ihm sei die »saubere Zunft« der Pfarrer verhaßt! Mit einem alten Schießgewehr fuchtelte er vor unseren erschreckten Gesichtern herum. Ja, wir sollten es nur genau ansehen, schrie er, mit diesem Gewehr hätte er schier gar den vorigen Pfarrer erschossen! Dann wäre ein Heuchler weniger auf der Welt gewesen, und er hätte ein besseres Gewissen dem Vadder gegenüber gehabt, den dieser »Pfarr« so schrecklich beleidigt hätte. Zwar wäre der Vadder damals schon tot gewesen, aber auch ein Toter hätte seine Ehre oder etwa nicht? Doch, doch, wir waren ganz seiner Meinung. Unter wilden Verwünschungen der Kirche und ihrer schwarzberockten, scheinheiligen Diener kam folgende Geschichte aus ihm heraus:
Sein Vater war gestorben. Gerade nicht der Frömmste und auch kein Kirchenspringer, aber »a rechter Ma«, der geschafft hätte bis zum letzten Atemzug. Daß dieser Atemzug beim verbotenen Schnapsbrennen entwichen war, sagte der getreue Sohn nicht. Wir erfuhren es später im Dorf. Da der Vater Mitglied des Gesangvereins war, sang der Verein bei der Beerdigung. Nun war der Gesangverein dieser Filiale des Singens wenig kundig, also stärkte man sich vor jeder anfallenden Sangespflicht im Wirtshaus mit einigen Maß Bier. Auf dem Wege zum Friedhof schwankten die Chorsänger bedrohlich, sie hielten sich aber gegenseitig aufrecht. Der Pfarrer, der hinter ihnen ging, sah es mit wachsendem Groll. Am Grabe angelangt, nahmen die Mannen Aufstellung, suchten nicht erst lange nach dem richtigen Ton, sondern trachteten danach, die lästige Pflicht schnell hinter sich zu bringen. Sie sangen den Choral: »Es ist vollbracht, mein Heiland nimmt mich auf...« Es war kein schöner Gesang, und der Bierdunst aus den aufgerissenen Kehlen fachte des Pfarrers Zorn zu gewaltigen Ausmaßen an.
»Das habt ihr euch so gedacht!« schrie er wütend, »daß der Heiland euch aufnimmt! Da habt ihr euch aber getäuscht! Der Heiland wird sich hüten, Säufer und Schnapsbrenner, die ihr seid!« In solcher Weise legte er Zeugnis ab und erleichterte sein übervolles Herz. Zum Schluß bat er den Heiland, diese verstockten Sünder zu bekehren und ihnen Erleuchtung zu schenken.
Das war zuviel! Die Trauergemeinde stand erstarrt. Sogar die bierumnebelten Hirne der Sänger klarten auf. Man ahnte, daß hier Schreckliches passiert war und daß Schreckliches passieren würde.
Zwar kam der Pfarrer unbeschadet aus dem Friedhof, aber das lag nur an dem Schreck, der die wackeren Männer lähmte. Beim Leichenschmaus schon schwor man blutige Rache. Hätte der Pfarrer nicht Weib und Kind gehabt, und wäre er dem Ort bei Nacht nicht ferngeblieben, weiß Gott, man hätte seine durchlöcherte Leiche wohl bald im Walde finden können. Er hoffe, so schloß der Bauer seine
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