Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Herd, der Gestank im Haus, der Splitter im Finger, die Angst vor dem Mädchenkreis — wer konnte dies alles schweigend erdulden? Die Mädchen steckten die Köpfe zusammen und berieten.
»Der muß naus!« sagte eine, »jetzt glei!«
»Nein!« schrie ich, »nicht jetzt! Morgen!«
Aber da hatten sie schon meine Hand gepackt. Der Finger wurde kräftig gedrückt. Ich jaulte auf und hielt mich am Stuhl fest.
»Do isch er!« Zwei Finger hielten mir den Splitter vor die Nase, »was saget se jetzt?« Ich sagte gar nichts, sondern suchte nach einem Taschentuch. Sie aber schnatterten alle gleichzeitig, erzählten eigene Erlebnisse mit Splittern in Händen, Füßen und anderen Körperteilen, rühmten meine Tapferkeit und reichten mir endlich ein Taschentuch. Eine Welle der Sympathie umspülte mein wundes Gemüt. Der Abend verlief anders als geplant. Keine Lieder, keine Geschichte, keine Andacht. Wir saßen um den Tisch, schwatzten und lachten. Nach zwei Stunden kam Manfred und fragte, ob er Decken bringen solle, falls wir im Räumle übernachten wollten.
Die Splittergeschichte ging von Mund zu Mund, und je weiter sie ging, desto länger wurde der Splitter und desto wundersamer meine Errettung. Als ich am nächsten Morgen in den Garten ging, kam der Nachbar an den Zaun. »Frau Pfarrer, mit so me Finger sott mer net schaffe! Gehet zum Doktor oder machet Omschläg!«
Kurze Zeit später erschien die Mesnerin und brachte Kamillenblüten für ein heilsames Bad. Nun sah ich mich genötigt, den Finger mit einem Verband zu schmücken, um die Dorfbevölkerung nicht zu enttäuschen. Nachdem die ersten Krankenbesucher Eier, Brot und Schinken in die Küche gelegt hatten— »daß er ebbes zum Esse hent, wenn er ins Krankenhaus miaßet mit dem Finger do!« — , umwickelte ich auch noch die Hand.
Manfred stürmte vorzeitig aus dem Religionsunterricht nach Hause.
»Was ist mit deinem Finger los?« rief er, »alle fragen, wie es dir geht, und ich hab keine Ahnung!«
Wortlos hob ich die verbundene Hand.
»Ja, gibt’s denn so was?« jetzt brüllte er, »das ganze Dorf weiß davon, bloß ich nicht! Du hast tatsächlich was und machst kein Geschrei?«
»Du kennst mich eben noch nicht«, sagte ich, »ein stiller Mensch ist ruhig!«
Er schnaubte zornig durch die Nase. »Irgendwas stimmt da nicht. Zeig mir den Finger.«
Vorsichtig wickelte er den Verband ab, sah das kleine bereits verheilte Löchlein, nahm die Brille ab, um besser zu sehen, setzte sie wieder auf und schaute mich ungläubig an. »Das ist alles?«
Ich erzählte ihm die Geschichte und zeigte die Reichtümer auf dem Küchentisch. Bevor der nächste Besucher kam, hatten wir gerade noch Zeit, die Hand wieder kunstvoll zu umwickeln.
»Was habt ihr bloß für Schauergeschichten erzählt?« fragte ich nächstes Mal im Mädchenkreis.
»Mir hent vom Schplitter verzählt«, sagte Marianne, die Wortführerin, »d’Leut schwätzet viel, wenn der Tag lang isch. Un des Körble do isch von moiner Dode. ‘S isch ebbes Sias!« Sie stellte einen Korb mit Kirschen auf den Tisch. Einen Augenblick herrschte Stille im Räumle, dann prusteten wir los. Auch dieser Abend verlief anders als geplant. Wir aßen Kirschen.
Was haben mir diese Mädchen alles beigebracht! Mit Engelsgeduld lehrten sie mich stricken, häkeln und nähen. All dies konnte ich vorher nicht.
»Ein so ungeschicktes Mädchen wie du ist mir noch nicht vorgekommen«, hatte meine Handarbeitslehrerin gesagt, »du ruinierst meine Nerven.« Sie war eine nette, alte Dame. Ich mochte sie gern und wollte ihre Nerven keineswegs ruinieren. Also kamen wir zu einer beglückenden Lösung für beide Teile. Ich brauchte nicht mehr zu stricken, sondern durfte der Klasse vorlesen. Dafür gab sie mir eine Fünf statt einer Sechs in Handarbeit.
Unter Anleitung der Mädchen strickte ich einen Pullover für Manfred. Er war ein wenig unregelmäßig vom vielen Aufziehen, auch hatte ich hie und da eine Masche nicht mehr zu fassen gekriegt, und der Rücken beutelte, aber der Pullover wurde fertig und Manfred bekam ihn zu Weihnachten. Am liebsten wären alle Mädchen am Heiligen Abend zu uns gekommen, um die Freude des Reichbeschenkten zu sehen.
»Oh, Frau Pfarrer, der wird a Freud han!« hatten sie mir vorher immer wieder versichert, wenn ich mutlos die Nadeln sinken ließ.
Manfred trug dann den Pullover beim Autowaschen und Schneeschippen; für den täglichen Gebrauch wäre er einfach zu warm — sagte er.
Am ersten Advent gingen wir
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