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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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Geschichte, er hoffe, der neue Pfarrer sei nicht von der Sorte seines Vorgängers. Sonst solle er sich nicht wundern, wenn er unversehens ins Grab sinken würde!
    Im Laufe des Abends aber wich die Verbitterung des Schwergekränkten. Er wurde versöhnlich und ließ uns sogar seinen Selbstgebrannten Schnaps versuchen. Während wir noch nach Atem rangen, versprach er, die Schuld des Vorgängers nicht an uns zu rächen, wenn wir uns anständig betragen würden. Eine Kirche jedoch, könne er nie wieder betreten. Früher wäre es ihm am Karfreitag nicht drauf angekommen. Er hätte auch noch geglaubt, an den Flerrgott oder irgendein höheres Wesen, denn etwas müsse der Mensch ja glauben. Die öffentliche Beleidigung auf dem Friedhof und daß der Herrgott nicht eingeschritten sei, also das hätte ihm den letzten Glauben geraubt. Der Herr Pfarrer werde das verstehen.
    Wir verabschiedeten uns eilig, um einem zweiten Gläschen Schnaps zu entrinnen. Er aber holte ein Fläschchen, auf dem »Hustensaft« stand, schüttete die Medizin, oder was immer darin war, in den Ausguß, füllte Schnaps hinein und steckte es mir vertraulich in die Tasche. »Für euch«, sagte er, »und nix für oguat!«
    Früher war diese Filiale im Winter völlig abgeschnitten von den Gemeinden im Tal. Es gab keinen befahrbaren Weg durch die Wälder im Schnee. Auch hatte sie noch keinen eigenen Friedhof. Weil man es aber für unschicklich hielt, die Toten bis zum Frühjahr tiefgekühlt aufzubewahren, führte man die Särge in feierlichem Trauergeleit bis zu einer Waldschneise, die steil und kerzengerade abwärts in die Ebene führte. Nach einem kurzen Augenblick der Besinnung, bekam der Sarg einen Stoß und sauste nun über den hartgefrorenen Schnee zu Tal. Durch ein besonderes Signal, eine Gewehrsalve oder ein Feuerzeichen, wurde den Talbewohnern rechtzeitig kundgetan, daß wieder eine Leiche käme. So standen unten starke Männer, Leichenwagen und Pfarrer bereit, um den Sarg oder was davon übrig geblieben war, in Empfang zu nehmen und feierlich zu bestatten. Solche und ähnlich makabre Geschichten erzählten mir die alten Frauen im Dorf. Sie versicherten, ich könne es glauben oder nicht, jedes Wort sei wahr und sie hätten es selber erlebt.
    Nach der Beerdigung fand der Leichenschmaus statt. Im Trauerhaus oder in der Wirtschaft war der Tisch gedeckt. »Leichenwecken« und »Leichenwürste« standen bereit. Die »Leichenwecken« wurden am Begräbnistag gebacken. Sie waren doppelt so groß wie die üblichen Wecken, mit Salz und Kümmel bestreut und seltsam geformt. In der Mitte war ein Kreis abgeteilt, von ihm aus Hefen fünf Einschnitte bis an den Rand des Gebäcks. Über die tiefere Bedeutung dieser Form wußte niemand etwas zu sagen. Ich kam zu dem Schluß, daß man den überdimensionalen Wecken mit Hilfe seiner Kerbung ganz leicht in sechs handliche Brocken brechen konnte. Tatsächlich biß nie jemand in den Wecken hinein, man führte ihn nur zerlegt zum Mund.
    Auch die Würste waren länger als die üblichen Brühwürste. Sanft gewürzt und heiß serviert wurden sie in großen Mengen verschlungen und mit reichlich Bier hinuntergespült.
    Bei einem solchen Leichenschmaus erlebten wir, wie sich die Leidtragenden schon nach der ersten Wurst wegen Erbstreitigkeiten in die Haare gerieten. Sie zeterten mit vollem Mund, nannten einander Erbschleicher, Heuchler und Halsabschneider und bedrohten sich mit den Würsten. Bevor die ersten Bierflaschen flogen, gelang es uns im allgemeinen Tumult aus dem Trauerhaus zu flüchten. Seitdem versagten wir uns weitere Leichenschmäuse.
    Die Bauern nahmen es nicht übel, daß wir dieser Festlichkeit fernblieben, vielleicht waren sie sogar erleichtert. Jedenfalls brachten sie uns Würste und Wecken ins Haus, dazu noch eine Tüte Eier, um sich für die Mühe des Pfarrers erkenntlich zu zeigen.
    Im allgemeinen war man mit Manfreds Beerdigungsreden zufrieden. Sie waren gut und recht und vor allen Dingen kurz. Nur eines fehlte und wurde schmerzlich vermißt. Das war der Druck auf die Tränendrüsen.
    »Ach«, sagte die alte Frau Krauder zu mir, als sie von einer Beerdigung im Nachbarort zurückkam, »ach, war des schö! Do hent mer uns amol so richtig herg’heult!«
    Ihre Augen glänzten bei der Erinnerung an das bewegende Erlebnis. Dann tätschelte sie mir tröstend den Arm und fugte hinzu: »Aber onser Herr Pfarrer isch scho recht. Er isch halt no e weng jung. I moin halt, wenn em erseht amol ebber gschtorbe isch, den er

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