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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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Lautstärke, daß erste und zweite ängstlich ins Wanken gerieten. Ich gewöhnte mich daran, in solchem Falle rettend einzuspringen und von einer Stimme in die andere zu wechseln. Für eine Beerdigung brauchten wir drei Lieder. Eines für das Trauerhaus und zwei für den Friedhof. Welche Lieder wir singen konnten, hing ganz von der Beschickung des Chores ab. An »Jesus meine Zuversicht«, einen schwierigen dreistimmigen Satz, wagten wir uns nur heran, solange Helene unter uns weilte. Sonst begnügten wir uns mit dem einfachen Satz »Christus, der ist mein Leben«. »Wenn mein Stündlein vorhanden ist« ging zur Not auch zweistimmig. Nach der Liedauswahl erhob sich für mich die ernste Frage: »Wie finde ich den richtigen Ton?« Manfred besaß eine Stimmgabel. Er erklärte, es wäre ein Kinderspiel, sie zum Klingen zu bringen und mit Hilfe des Kammertones a den gewünschten Akkord aufzubauen. Also benützte ich die Stimmgabel bei der ersten Beerdigung. Ich tat es nur einmal. Meine schweißnassen Finger konnten ihr keinen Ton entlocken. Ich versuchte, sie durch einen Schlag auf meinen Kopf zum Klingen zu bringen. Allein das schwarze Kopftuch dämpfte Schlag und Ton, so daß ich wieder nichts hören konnte. Jetzt machte ich es wie die Pfeifenraucher, hob den Fuß und klopfte mit dem widerspenstigen Instrument gegen den Absatz. Nun endlich zirpte die Stimmgabel. In der Aufregung erwischte ich einen derart hohen Ton, daß wir schon nach der ersten Strophe von »Jerusalem, du hochgebaute Stadt« außer Atem gerieten und den Gesang beenden mußten.
    Nach diesem mißglückten Versuch kaufte ich mir einen »Chromatischen Tonangeber«. Eine handliche Scheibe mit vielen kleinen Löchern am Rand, über denen der Ton stand. Ich brauchte also nur in das richtige Loch zu blasen, und das gelang mir meistens. Trotz meiner Schwäche im Tonangeben, holte ich aber nur den Grundton aus dem Instrument und suchte den Akkord dazu aus eigener Kraft zusammen.
    Der heimatliche Gesangverein stand mir als warnendes Beispiel vor Augen. Sein Dirigent, ein ehrenwerter, aber musikalisch nicht gerade begnadeter Mensch, besaß einen Tonangeber anderer Art. Es war dies eine kleine Röhre, bei der man den gewünschten Ton durch Drehen einstellen konnte. Ein praktisches Instrument, solange man sich mit einem Ton begnügte. Wie aber, wenn der Chor vierstimmig zu singen gedenkt, und der Dirigent in mühsamer Fingerarbeit die Töne nacheinander aus der Flöte zu drehen bemüht ist? Eine Arbeit, die Zeit und Geschick erfordert. Der Dirigent drehte und blies für den ersten Tenor, der nahm den Ton ab und versuchte ihn zu halten. Der Dirigent drehte wieder, blies und gab dem zweiten Tenor seinen Ton. Der nahm ihn ab, während der erste Tenor schon bedenklich in der Tonhöhe schwankte. Hatten dann auch Bariton und Baß ihre Töne erhalten, dann waren die beiden Tenöre im Laufe der Zeit schon hoffnungslos abgesunken oder der Ton war ihnen völlig entfallen. Der entstandene Vierklang erwies sich als mißtönend, so begann der Dirigent seine mühsame Tongebung wieder von vorn. Manchmal blieb er hart und ließ den Chor singen ohne Rücksicht darauf, welche Töne die Herren im Kopf behalten hatten. Es kam vor, daß der Chor nach einer Weile zu den richtigen Harmonien zurückfand, meistens aber schmetterten die Sänger halbtonweise nebeneinander her. Dies hielten sie mehrere Strophen lang durch, so daß die geplagten Zuhörer das Ende der Darbietung herbeisehnten und dankbar applaudierten, sobald es eingetreten war.
    So geschah es jedes Jahr bei der Weihnachtsfeier des Gesangvereines, zu der die Pfarrfamilie vollzählig erscheinen mußte.
    »Kind, ich bitte dich, nimm dich diesmal zusammen«, sagte Vati vorher zu mir, »du verletzt die Leute in ihren heiligsten Gefühlen, wenn du lachst!«
    Ich versicherte, daß ich ihm keine Schande machen wolle und ernst und gelassen bleiben würde. Dann nahm der Gesangverein Aufstellung, der Dirigent begann mit der Arbeit. Ich schaute nicht hin und dachte an alles Traurige, was mir schon widerfahren, träumte mir meinen Mathematiklehrer herbei, den ich heimlich verehrte, versuchte mich abzulenken, indem ich in meiner Tasche kramte und mir die Nase putzte. Es half nichts. Irgendwann war es um meine Fassung geschehen. Ich gackerte los. Da half kein strenger Blick des Vaters, kein trauriger der Mutter. Ich konnte nicht ernst bleiben.
    Nun verging mir das Lachen, als ich mit dem Leichenchor zum Trauerhaus marschierte. Vor uns ging

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