Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
Vom Netzwerk:
»Adventssingen«. Ich kannte diese Sitte nicht, aber die Mädchen erklärten mir, was zu tun sei. Eine Liste wurde aufgestellt von allen über 75jährigen Leuten im Dorf, den Filialen und auswärtigen Höfen. Wir schnitten Tannenzweige zurecht, steckten Lichter daran und übten Adventslieder.
    Als es am ersten Advent zu dunkeln begann, zogen wir los. Wir schlichen in die Häuser der alten Leute, zwängten uns in enge Dielen oder auf steile Stiegen. Wenn die Häuser verschlossen waren, suchten wir eine windstille Stelle im Hof, zündeten die Kerzen an und sangen. Manchmal erwartete man uns schon, dann stand auch ein Gutslesteller für uns bereit. Manchmal wurde ich hinterher in die stickige Kammer einer Kranken geschubst, um ihr etwas freundliches zu sagen. Manchmal mußten wir gegen das wütende Gekläff des Hofhundes anbrüllen. Unser Gesang wurde von Mal zu Mal kläglicher, unsere Füße lahmer und unsere Hände verkrampfter.
    Schlimm erging es uns auf einem abgelegenen Hof. Die alte Großmutter war allein zu Hause. Sie lag im Bett, und da sie fast taub war, hörte sie nicht, wie wir die Treppe hinauftappten. Sie sah aber, daß die Tür einen Spalt aufging und Licht in das Zimmer fiel. Da erschrak sie zu Tode, dachte, es wären Einbrecher am Werk, sprang beherzt aus dem Bett und ergriff ihren Stock, der am Bett lehnte. Wir sangen gerade: »Macht hoch dieTür, die Tor macht weit...«, da riß sie die Tür auf und erschien vor uns im Hemd, die weißen Haare zerzaust, die knochigen Füße barfuß, den Stock hocherhoben. Ich stand oben auf der Treppe, die Kerze andächtig in der Hand. Unversehens bekam ich einen Stoß gegen die Brust, taumelte rückwärts und fiel auf Marianne, die eine Stufe unter mir stand. So sank der Mädchenkreis, angstvoll kreischend rückwärts die Treppe hinunter. Oben stand die Alte mit ihrem Stock. Wir rappelten uns auf, sammelten unsere Siebensachen zusammen und hasteten aus dem Haus. Im Hof wollte ich einen Augenblick verschnaufen, aber die Mädchen drückten mich vorwärts.
    »Los, los, Frau Pfarrer!« schrien sie, »glei hetzt se den Hund auf uns, der isch fei scharf!« Richtig, da hing die alte Furie schon zum Fenster hinaus und feuerte den Hund an, uns zu fassen. Wir entkamen mit knapper Not.
    »Ja, habt ihr denn das nicht gewußt?« fragte ich die Mädchen, »ihr seid doch sicher im vorigenjahr auch hier gewesen.«
    Sie lachten verlegen. »Mir hents uns scho denkt«, sagten sie, »aber wenn mer net kommet, isch se eigschnappt.«

Leichenchor und Leichenschmaus

    Der Mädchenkreis verwaltete auch das Amt des »Leichenchors«. Ich hatte vorher nichts von der Existenz eines solchen Chores gewußt.
    Bei den Beerdigungen, die mein Vater hielt, sang der Kirchenchor oder der Gesangverein.
    Die Mädchen drängten mich:
    »Frau Pfarrer, mir miaßet Lieder übe für die nächst’ Leich!« Sie kramten aus einem der Registraturschränke schwarzeingebundene Büchlein hervor: »Lieder für die Bestattung« . Als Leiterin des Mädchenkreises wurde ich auch Dirigentin des Leichenchors, egal ob ich wollte oder nicht. Eine Beerdigung in Weiden bedeutete für mich einen halben Tag zusätzlicher Arbeit. Die Beerdigungen fanden immer nachmittags statt. Mittagessen.und Abwasch wurden in nervöser Eile erledigt, dann zog ich mich von Kopf bis Fuß schwarz an. Erst dachte ich, ein schwarzer Mantel würde genügen, um meine Trauer zu bekunden, aber die Mitglieder des Leichenchores betrachteten mich mit unverhohlenem Entsetzen.
    »Frau Pfarrer, so könnet se fei net gehe! Hent se koi schwarze Strümpf und koi Tüchle? Und des helle Kloid, noi, des geht fei net!« Sie erboten sich, lieber allein zu singen, als unter so schlecht bekleideter Führung.
    Als unser Andreas drei Jahre alt war, sah er zu, wie sich seine Tante Hanna im Badezimmer frisierte. Sie trug einen schwarzen BH.
    »Tante Hanna?« fragte er, »nimmsch mich mit?«
    »Wohin denn?« wollte sie wissen. »Na zu der Beerdigung, wo du dich grade anziehst.«
    Nach der gründlichen Einkleidung rannte ich ins Räumle zur Chorprobe. Mit Herzklopfen öffnete ich die Tür. Wie viele würden es diesmal sein? Alle Mädchen, die in der Stadt arbeiteten, konnten am Werktag nicht kommen, also waren wir meist ein klägliches Häuflein. Vier erste Stimmen, drei zweite, und wenn Marianne verhindert war, mußte ich allein die dritte Stimme singen. O, welch ein Segen war da Helene! Stimmgeübt durch den täglichen Topfgang schmetterte sie die dritte Stimme mit solcher

Weitere Kostenlose Bücher