Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Konfirmanden freudig begrüßt. Eine Nachtwanderung? Toll! Herr Pfarrer hätte ihnen keine größere Freude machen können. Manfred lächelte auf den Stockzähnen und sah sie schon heimwärts wanken. Es schneite, und wir verliefen uns rettungslos in unbekannter Gegend. Drei Stunden irrten wir umher. Die Jungen sprachen mir Mut zu und schleiften mich durch den Schnee. Auch Manfred benötigte dringend ein Wort des Trostes. Die Konfirmanden spendeten es reichlich.
»Mir werdet’s scho schaffe! Herr Pfarrer«, sagten sie, »wenn’s Tag wird, sehet mer besser. Alle werdet mer net verfriere. Die Buebe haltet sicher durch, und mit de Mädle miaßet mehr halt sehe...«
Manfred stöhnte, er war völlig gebrochen. Nach einer weiteren Stunde sahen wir das Freizeitheim vor uns liegen. Die Jugend erstürmte es mit Geheul und verblieb den Rest der Nacht in einem wahren Siegestaumel. Wir ließen die Meute toben. In dieser Nacht wollten wir nicht für Ruhe, Sitte und Anstand kämpfen. Schließlich waren wir mit knapper Not dem weißen Tod entronnen. Dagegen schien alles, was sonst noch passieren konnte, klein und bedeutungslos. Sollten sich die Kinder ruhig ihres neugeschenkten Lebens freuen! Als ich nachts das stille Örtchen suchte, hörte ich, wie sich zwei Mädchen im Waschraum unterhielten. Die eine sprach zur anderen.
»Die schlafet wie d’ Ratze. Die hent mer fertig g’macht!«
»Ja«, bestätigte die andere, »und sie hent’s net amol g’merkt, wie mer se an der Nas romgführt hen!«
Sie lachten beide, ich knirschte mit den Zähnen vor Wut. Diese Bande! Tatsächlich waren mir schon bei der Nachtwanderung Zweifel gekommen, wer hier wen überlistet hatte.
Die Nachtwanderung blieb die größte Attraktion der Freizeit. Man sprach in Weiden noch lange davon. Die Jugend kichernd, mit vorgehaltener Hand. Die Alten vorwurfsvoll mit dankbarem Augenaufschlag gen Himmel. Als die nächsten Konfirmanden zur Freizeit rüsteten, war es für sie ganz selbstverständlich, daß sie auch in den Genuß einer Nachtwanderung kämen. Verlaufen haben wir uns allerdings nie mehr. Manfred ging die Strecke vorher ab. Auch der listigste Konfirmand konnte ihn nicht in die Irre führen. So kamen die Nachtwanderungen langsam wieder aus der Mode.
Zu den großen Festen im Dorf gehörten natürlich auch die Hochzeiten. Unsere Hochzeit war ein winziges Familienfestchen gewesen gegenüber diesen Mammutfeiern, die wir nun miterlebten. Wie Bandwürmer wanden sich die Hochzeitszüge den Berg hinauf zur Kirche, begleitet von ohrenbetäubendem Knallen.
»Mulchen, warum machen die solchen Krach?« fragte mich der kleine Andreas. Ich wußte es auch nicht. Andreas überlegte. »Weisch, Mulchen«, sagte er nach langem Nachdenken, »die schießen vielleicht, damit der Mann von der weißen Frau, weisch, der im schwarzen Anzug, der immer so traurig aussieht, damit der nicht wegläuft!«
Die Hochzeiten fanden meistens am Samstag statt und nach altem Brauch wurden Pfarrers dazu eingeladen. Wir kamen entweder zum Mittagessen oder zum Kaffee, niemals mehr zum Abendbrot. Man zeigte uns, wie sehr man sich über unser Kommen freute und hielt die Ehrenplätze gegenüber dem Brautpaar für uns frei. Es gab das übliche Festmahl. Außer dem Essen aber wurde nicht viel geboten. Ein weißgekleidetes Kind, von der stolzen Mutter vor das Brautpaar geschubst, sagte vielleicht ein Versehen auf und überreichte Brot und Salz. Reden wurden erst nach dem Abendessen gehalten, wenn keiner des Wortes mehr mächtig war. Ab und zu ließ man eine Schallplatte laufen. Nicht als Tafelmusik, sondern als Einlage zwischen den Gängen.
Einmal wurde »Der Brautmarsch« aus der Oper »Lohengrin« von Richard Wagner angekündigt. Wir neigten den Kopf und erwarteten feierliche Klänge. Da hatten wir uns aber getäuscht. Dieser »Marsch« war ein flottes Schnaderhüpferl, ein lustiges Stückchen, für Hochzeiten bestens geeignet. Die Gesichter der Gäste entspannten sich. Nur der junge Mann, der die Platte aufgelegt hatte, war nicht so recht zufrieden. Das Stück klang anders, als er es in Erinnerung hatte. Er ließ die Platte auslaufen und stellte sie dann noch einmal an, allerdings jetzt im richtigen Tempo. Dieser Marsch klang schön, getragen und feierlich. Wir klatschten dankbar.
»Jetzt hent er zweimol de Genuß ghet«, sagte der junge Mann, »und eiles bloß, weil i so dappich bin!«
Mit der Zeit veränderten sich die Hochzeitsfeiern. Die Mädchen aus meinem Kreis kamen ins
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