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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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halt zammegruckt«, sagten sie.
    Am ersten Weihnachtsfeiertag machte der Gesangverein seinen Gegenbesuch in der Kirche. Alle waren sie da, die komischen und tragischen Talente, die nüchternen und anderen Sänger. Sie schmetterten das schöne Lied: »Über den Sternen wohnet Gottes Frieden...«

Abendmahlsknicks und Brotwunder

    In der Karwoche gab es bei uns zu Hause kein gemütliches Abendbrot. Vati aß in seinem Zimmer, Mutti zog sich um, Else riß die Teller vom Tisch, bevor wir richtig satt waren. »Los, los, macht schon, ich will auch fertig werden!« Um acht Uhr marschierte die Pfarrfamilie zur Passionsandacht ins Gemeindehaus. Ich ging schon als Kind gerne mit, denn ich liebte die Passionslieder, sie brachten die wenigen guten Saiten meines Wesens zum Klingen. Mit Inbrunst sang ich dreizehn Verse von »Herzliebster Jesu...«, vergoß Tränen bei »O Haupt voll Blut und Wunden...« und begleitete in Gedanken das Lämmlein, welches mit einem Sack voll Schulden auf dem Rücken zur Würgebank schleicht.
    Vati sprach über die Leidensgeschichte. Zwei Kerzen flackerten auf seinem Pult. Die Zuhörer — außer der Pfarrfamilie noch ein paar alte Frauen — saßen in angenehmes Dämmerlicht gehüllt, hingen eigenen Gedanken nach oder folgten eine Zeitlang denen des Pfarrers. Mit sanfter Traurigkeit im Herzen kehrten wir nach diesen Passionsandachten ins Pfarrhaus zurück. Wir versuchten milde miteinander umzugehen und uns nicht zu streiten. Da unseren Bemühungen aber nur kurze Zeit Erfolg beschieden war, gingen wir bald ins Bett.
    Zu Manfreds Passionsandachten kamen außer alten Frauen und mir noch ein paar Männer von der »Stund«. Der Organist pflegte diese Veranstaltung nicht zu besuchen, also mußte ich auf dem alten Harmonium begleiten. Dem traurigen Anlaß gemäß zog ich zarte Register »Waldflöte« und »Viola«. Doch übertönten die Nebengeräusche diese zarten Stimmen, der Blasebalg pfiff, die Pedale knarrten, von meiner Begleitung war nichts mehr zu hören. Bei der zweiten Strophe riß ich sämtliche Register heraus, trat mit aller Kraft die Pedale und benutzte die Schweller. Nun brauste die Begleitung, daß es eine Lust war, jedenfalls für die Sänger, für mich weniger, denn ich mußte harte körperliche Arbeit verrichten. Mit den Knien schob ich die beiden Schwellerflügel auseinander, mit den Füßen drückte ich die Pedale hinunter. Bei der vierten Strophe fuhr mir ein Krampf in den linken Fuß. Es tat höllisch weh und mit der Beinarbeit war es aus. Nur die Finger bewegten sich sinnlos auf den Tasten. Das Harmonium verstummte. Die Andachtsbesucher sangen noch eine Zeile, dann hörten sie auch auf. Niemand konnte ihnen zumuten, ohne Begleitung, sozusagen »trocken«, zu singen.
    »Was ist?« fragte Manfred, seine Stimme klang ärgerlich. »Ich hab den Krampf im Fuß.«
    »Aufstehen, rumlaufen!« befahl einer der Männer. Ich tats, heulte auf und setzte mich wieder.
    »Los Frau Pfarrer, glei hent ses gschafft!«
    Tatsächlich, der Muskel entspannte sich, der Schmerz ließ nach. Es erhob sich die Frage, ob man einen neuen Krampf riskieren oder ohne Begleitung weiter singen solle. »Pfarrers könntet zsamme spiele«, schlug die Mesnerin vor.
    Der Vorschlag erwies sich als brauchbar. Manfred saß neben mir auf dem Klavierstuhl, trat die Pedale und bediente die Schweller. Mir blieb nur die Arbeit auf den Tasten. Es klappte vorzüglich. Zwar saßen wir uns fast auf dem Schoß, aber niemand nahm Anstoß. Schließlich waren wir verheiratet und Frau Pfarrer sowieso in »ihrem Zustand«. Das alte Harmonium steckte voller Schrullen. Eines Abends gab das »c« keinen Ton mehr. Ich gewöhnte mich daran und kam ein »c«, so sang ich es. Dann aber, völlig unvermutet, ging es wieder, so daß sich alle Leute wunderten, warum die Frau Pfarrer so laut schrie. Dann fiel mal der, mal jener Ton aus; allabendlich gab es eine andere Überraschung. Der Kirchengemeinderat beschloß, eine kleine elektrische Orgel zu kaufen. Vorher aber sollte der Organist noch einmal probieren, ob das Harmonium tatsächlich so unbrauchbar wäre. Er kam und spielte »den Largo« von Händel. Ich nannte dieses herzbewegende Musikstück »der Largo«, und zwar tat ich dies aus einem gewissen Überdruß heraus. Bei den Hochzeiten in der heimatlichen Gemeinde spielte ich meistens die Orgel und jedesmal erklang »der Largo«, geblasen von Flöten, geschluchzt von Geigen, geschmettert von familieneigenen Tenören. Mein Vater flehte die

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