Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Kinder. Der kleinejunge neben mir schmiegte sich vertrauensvoll an mich und schmierte dabei seine Rotznase an mein einziges gutes Umstandskleid. Schon lag das Reichsliederbuch vor uns, aufgeschlagen bei dem Lied: »Harre meine Seele...« Ich dachte, daß wir bestimmt noch lange harren würden bis zum nächsten Gang, aber da hatte ich mich getäuscht. Eine Suppenterrine wurde vor uns aufgestellt. Die Tochter des Hauses schwang die Kelle, und ehe ich auch nur vom Gesang zur Rede überwechseln konnte, schwebten bereits die selbstgemachten Suppennudeln über mir. Das Lied war gesungen, verzweifelt steckte ich den Löffel in die Suppe. Da wir anscheinend zum Beten nicht gewillt waren, erhob sich der Hausherr, bat um Ruhe zum Gebet und dankte dem Herrn, daß Pfarrers gekommen seien. Er dankte für den ersten und zweiten Gang und für alles, was noch kommen würde. Er betete solange, bis unsere Suppe kalt war. Während des Gebetes führte ich einen erbitterten Kleinkrieg mit dem Burschen neben mir. Er wollte unbedingt seinen schmutzigen Finger in meine Suppe stecken. Ich versuchte, sein Vorhaben zu vereiteln, legte meine Arme schützend um den Suppenteller und schob dem Kind das Reichsliederbuch zu, damit es seine Aufmerksamkeit darauf richte. Es begann dann auch, Blätter herauszureißen, was ich mit großer Erleichterung registrierte. Nach Beendigung des Gebetes wurde Manfred noch zur Fürbitte aufgefordert. Er tat es in solcher Kürze, daß man seinen Ohren nicht traute. Um den schlechten Eindruck zu verwischen, betete noch ein anderer Bruder. Mittlerweile erschien der Kartoffelsalat auf den Tischen. Wir löffelten mit Todesverachtung unsere Suppe, die Fettaugen darauf waren bereits erblindet. Das Kind neben mir bekam von seiner Mutter einen Klaps, weil es das Reichsliederbuch zerstörte, woraufhin es zu heulen anhub und seinen Finger in den Kartoffelsalat bohrte. Zum Glück mußte ich nichts mehr davon essen. Mir wurde schon bei der Meerrettichsoße schlecht, und wir waren genötigt, einen überstürzten Abschied zu nehmen. Ich saß auf dem Roller und würgte: »Verheb’s«, rief Manfred, »gleich sind wir zu Hause!« Es reichte gerade noch.
Das dritte Festmahl fand in der Filiale statt. Wir sahen voller Freude, wie Berge von Geschirr in die Küche getragen wurden. Die Gäste saßen bereits an leeren Tischen, stocherten in den Zähnen, rülpsten und waren ganz schrecklich satt. Wir waren es auch, aber wir aßen das Menu von der Suppe bis zur Nachspeise, einer Zitronencreme mit einem Liter Schlagsahne und dreißig Eiern. Es war uns inzwischen aufgegangen, daß unser Besuch nur etwas galt, wenn wir tüchtig zulangten. Je mehr wir in uns hineinstopften, desto glücklicher waren die Gastgeber. Was konnten sie dafür, daß wir schon gegessen hatten?
Wieder mit einem Versucherle beladen fuhren wir heim. Bei der ersten Kurve im Wald flog mir das Kuchenpaket aus den Händen und fiel in den Straßengraben. Manfred bremste und hielt.
»Ach, laß es doch liegen«, sagte ich, »wir kriegen heute noch genug Kuchen, ich kann es nicht mehr halten.«
»Von was sprichst du?« sagte Manfred, »O, ist mir schlecht!« Er stieg vom Roller, sprang über den Graben und verschwand im Wald. Mir ging es auch nicht gut. Aber das war noch gar nichts gegen unser Ergehen nach dem vierten Stück Buttercremetorte, nach Obst- und Rührkuchen, nach Schlagsahne, von liebevoller Hand auf die Kaffeetasse gehäuft! Vor der Buttercremetorte gab es kein Entrinnen, so sehr wir uns auch sträubten. Sie war das Beste, was die Gastgeber zu bieten hatten, und darum wurde uns ein großes Stück davon beschert. Auch der Kaffee brachte unseren Mägen keine Erleichterung. Oft waren schon drei Löffel Zucker in der Tasse, ehe wir abwinken konnten.
Kurz vor achtzehn Uhr verließen wir die letzte Kaffeetafel. Auch die anderen Gäste erhoben sich stöhnend vom Tisch. Der Hausvater ging in den Stall, die Frauen begaben sich in die Küche. Konfirmand und Gäste, die man gerne während der Zeit des Umdeckens aus dem Hause haben wollte, wurden zum Abendgottesdienst in die Kirche geschickt. Auch Manfred wankte dorthin mit bleichem Gesicht und wehem Magen. Er stellte einen Weltrekord auf, was die Kürze dieses Gottesdienstes betraf. Die Hausfrauen allerdings waren nicht dankbar, als die Gäste schon nach einer halben Stunde wieder das Haus bevölkerten und jedermann im Wege standen.
Ich lag während des Gottesdienstes auf dem Sofa und wagte nicht, mich zu rühren. Es war
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