Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
der Polizei und ihre insistierenden Fragen gaben ihm zumindest einen Wert. Er war jetzt eine wichtige Person.
Doch auf dem Weg in die Untersuchungszelle, wo er die Stunden zubringen würde, die er noch warten musste, bis ein Anwalt auftauchte, brachte ihn etwas zum Umdenken. In Handschellen wurde Thomas von zwei Streifenpolizisten und einem großgewachsenen Justizvollzugsbeamten durch die Korridore des Kronoberg-Gefängnisses geführt. Sie kamen an einem Aufenthaltsraum vorbei, in dem einige junge Männer saßen und Karten spielten. Einer der Männer rief dem Justizvollzugsbeamten etwas zu und wollte wissen, wen er denn da mitgebracht habe.
»Einen neuen Kumpel«, antwortete der Beamte knapp und ohne sich aufhalten zu lassen.
Für den Bruchteil einer Sekunde begegnete Thomas dem Blick des jungen Mannes. Lange genug, um den Funken zu entzünden. Bevor jemand begriff, was vor sich ging, hatte er sich auf Thomas geworfen und ihm einen Kopfstoß verpasst, der ihn zu Boden gehen ließ. Der Wärter, der bedeutend größer war als der Angreifer, konnte ihn problemlos überwältigen, während die beiden Polizisten Thomas grob vom Boden hochrissen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass er verletzt war. Das Blut schoss ihm aus der Nase und lief ihm über die Kleidung, während sie ihn zwischen sich nahmen und weiterschleppten. Als er langsam wieder zu sich kam, wurde ihm klar, dass sie ihn für mindestens genauso gefährlich hielten wie den Mann, der ihn gerade misshandelt hatte. Ihm wurde bewusst, dass er es im Gefängnis nicht aushalten würde. Das hier würde alles, was er in der Vorschule erlebt hatte, in den Schatten stellen.
*
Sjöberg verließ den Vernehmungsraum mit einem Gefühl der Unzufriedenheit. Er bekam diesen merkwürdigen Mann nicht zu fassen. Er machte keine Anstalten, sich zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Vielleicht wollte er verhaftet werden; vielleicht war er einer dieser Verbrecher, die mit ihren Gewalttaten in der Öffentlichkeit groß rauskommen wollen? Seine Geschichte klang auch ziemlich seltsam. Dass er zugab, Hans Vannerberg bis zu Ingrid Johanssons Haus verfolgt zu haben, war eine Sache, denn sie konnten schließlich beweisen, dass er dort gewesen war. Aber warum gab er auch zu, dass er Ann-Kristin Widell aufgesucht hatte? Und warum gestand er dann nicht ebenso, dass er auch bei Lise-Lott Nilsson und Carina Ahonen Gustavsson gewesen war? Das passte alles nicht zusammen. Die Beweise waren so deutlich, wie man es sich nur wünschen konnte, aber Thomas Karlssons Auftritt im Vernehmungsraum war und blieb für Sjöberg ein Rätsel.
»So ein krankes Schwein«, sagte Sandén, als sie ein paar Minuten später mit einem Kaffee in Sjöbergs Büro saßen.
»Glaubst du?«, sagte Sjöberg.
»Klar ist der krank. Immerhin hat er vier Menschen umgebracht.«
»Und wenn er es nicht getan hat? Wenn die Fingerabdrücke vielleicht doch nicht seine sind?«
»Natürlich sind es seine Fingerabdrücke. Willst du etwa sagen, dass du Zweifel daran hast?«
»Nein«, antwortete Sjöberg, »natürlich war er es. Aber bei der Vernehmung hat er sich schon sehr seltsam benommen, finde ich.«
»Inwiefern?«, wollte Sandén wissen.
»Er gibt zu, dass er sich zur Tatzeit an zwei der Tatorte aufgehalten hat, aber nicht an den anderen beiden.«
»Vielleicht ist er durcheinander. Vielleicht weiß er nicht, was er getan hat.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, tat Sjöberg die Idee ab. »Auf der einen Seite ist er ängstlich und nervös, auf der anderen Seite tut er nichts, um die Anschuldigungen zu entkräften oder um zumindest mit mildernden Umständen davonzukommen.«
»Er hat wohl sein ›wahres Ich‹ noch nicht gefunden«, schlug Sandén vor.
»Nein, augenscheinlich nicht«, antwortete Sjöberg nachdenklich. »Er hatte eine schwere Kindheit.«
Sjöberg teilte ihm im Vertrauen mit, was seine Schwägerin ihm erzählt hatte. Sandén deutete mit einer Handbewegung an, dass er schweigen würde wie ein Grab.
»Armes Würstchen!«, sagte er, als Sjöberg fertig war. »Da fragt man sich doch, wie das arme Mädchen damit zurechtgekommen ist. Wenn er schon als Serienmörder geendet ist, was ist dann wohl aus ihr geworden?«
»Wahrscheinlich ein ganz normaler, friedlicher Mensch«, meinte Sjöberg. »Viele Kinder haben es schwer, aber auf wundersame Weise werden aus den meisten von ihnen anständige Leute.«
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als das Telefon auf Sjöbergs Schreibtisch klingelte. Es war Lennart
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