Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
ein paar Schalter.
»Du, Cuno«, sagte Katinka. »Ich glaube, ich weiß, womit Hagen und sein Kollege handeln.« Sie sah auf. »Mit Pfeilgiftfröschen.«
»Wie bitte?« Cuno trat neben sie und blätterte durch den Band. »Herrlich. Tolle Farben. Sieh mal, der da sieht aus, als hätte er Jeans an. Der Oberkörper ist knallrot. So einen habe ich mal in freier Wildbahn gesehen.«
»Ach nein«, sagte Katinka und tippte sich an die Stirn. »Die sonnen sich am Weserufer, was?«
»In Ecuador«, entgegnete Cuno geduldig. »Auf einem Trip durch den Dschungel. Die Viecher sind dermaßen giftig, dass allein die Berührung mit ihrer Haut tödlich ist. Die Indianer streichen mit Pfeilspitzen über den Frosch. Das reicht aus, um die Beute zu töten.«
»Der mintfarbene heißt Phyllobates bicolor«, buchstabierte Katinka. »Der sieht auch echt giftig aus.«
»Die Frösche können sich die auffallenden Farben leisten. Fressfeinde werden sich hüten, mit der Gifthaut in Berührung zu kommen.«
Katinka hob den Kopf. Ihre Alarmglocken schrillten. Sie wusste nicht, warum. Bis auch Cuno aufsah. Er schnupperte wie ein Kaninchen.
»Gas!«, schrie er. »Raus.«
Er machte einen Hechtsprung durch die Tür. Ein gleißendes Licht blendete Katinka. Die Druckwelle riss sie zu Boden. Knapp neben ihrem Kopf raste etwas vorbei. Das dunkle Viereck der Tür verschwand hinter Flammen.
»Cuno?«, schrie Katinka. Sie war wie gelähmt, spürte nicht einmal Angst.
»Raus! Komm da raus!«, hörte sie Cunos Stimme hinter der Feuerwand. Sie konnte kaum atmen. Die Hitze schien ihr die Gesichtshaut wegzubrennen. Sie hechtete zum Fenster. Die Scheibe war zersplittert. Katinka nahm das dicke Froschbuch, brach die letzten Scherben heraus, und stürzte sich hinaus.
»Verflucht«, hörte sie Cuno. Er warf etwas Schweres über sie.
»Was machst du denn«, flüsterte Katinka. Vor ihren Augen tanzten bunte Punkte.
»Deine Jacke hat gebrannt. Steh auf! Die Bude fliegt jeden Moment in die Luft!«
Katinka krabbelte ein Stück auf allen Vieren, kämpfte sich hoch und rannte hinter Cuno her.
»Nun mach!« Er packte sie am Arm und riss sie weiter, aus dem Hufeisen heraus, hinter die Felsen.
Die Explosion zerriss ihnen beinahe das Trommelfell.
»Schiet!«, schrie Cuno, als würde ihm erst in diesem Moment klar, was geschehen war.
Katinka sank auf den feuchten Waldboden und suchte nach ihrem Handy. Ihr Herz raste. Das Buch legte sie weg. Es war mit Blut bespritzt, der Mintfrosch hatte nun rote Sprenkel auf seiner giftigen Haut.
»Deine Jacke!«, sagte Cuno.
Katinka sah erstaunt auf ihre Ärmel. Der linke fehlte. Auch der Pulli war angekokelt. Ihre Hand leuchtete feuerrot.
»Das ist eine ganz schöne Verbrennung!« Cuno tanzte um sie herum wie ein Waldgeist. »Tut es weh?«
»Lieber nicht dran denken«, murmelte Katinka. Sie wusste, dass sie unter Schock stand und ihr Körper sie schützte. Bis die Schmerzen kamen, musste sie handeln. Mit der unverletzten Hand tippte sie Ruth Steins Nummer in ihr Handy.
»Was machst du da? Rufst du die Bullen?«
»Was sonst?« Katinka klemmte das Telefon zwischen Ohr und Kinn.
»Teufel auch, hauen wir lieber ab.« Cuno richtete seinen Pferdeschwanz um sich zu vergewissern, dass sein Haar noch da war.
»Frau Stein? Gut, dass ich Sie noch erreiche«, sagte Katinka. Sie bemühte sich, ruhig zu sprechen, aber die Hysterie hatte sich schon an ihre Stimme geklammert und machte sie schrill. Ihr wurde schwindelig. Der Schweiß brach ihr aus.
»Was ist?« Die Hauptkommissarin klang sofort alarmiert.
»Ich bin mit einem Kollegen bei der Burg Bramberg. Da ist ein Bauwagen in die Luft geflogen. Wir glauben, dass er als Zweitbüro für die Handelsagentur Stephanus diente.« Sie brach ab. Plötzlich war sie erschöpft, zu erschöpft um zu sprechen.
»Sind Sie o.k.? Ist jemand verletzt?«, fragte Ruth Stein.
Katinka hielt Cuno das Handy hin.
»Hier spricht Cuno Fischer, Privatdetektiv«, sagte er. »Frau Palfy hat Verbrennungen zweiten Grades. Nein, nur die Hand. Sonst ist niemand…«
Katinka hörte ihn nicht mehr. Sie rutschte auf den Waldboden und staunte, wie weich Herbstlaub sein konnte.
Der Herbst war seine liebste Jahreszeit
Er genoss die langen, dunklen Abende, wenn die Menschen in die Ruhe zurückkehrten, die ihnen der hektische Sommer genommen hatte. Er mochte es, wenn die Sonne keine Wunden mehr aufriss, wenn das Licht subtiler wurde und aufhörte, in aller Aufdringlichkeit das Leben auszuleuchten. Die meisten
Weitere Kostenlose Bücher