Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
dem Gedanken an den Querschläger, der Hardos rechten Lungenflügel verletzt hatte. Um ein Haar hätte Hardo nicht überlebt.
»Ist was?«, fragte Hardo.
»Nein. Schon o.k. Ich musste an etwas Dramatisches denken.« Sie stand auf. »Ich fahre jetzt nach Haßfurt zu Paula.«
Er nickte nur.
»Tschüss!«, sagte Katinka und ging zur Tür.
»Palfy?«
Sie drehte sich um.
»Ja?«
Er nahm die Hände aus den Taschen. Einen Augenblick schwebten sie neben ihm wie gestutzte Flügel. Er erschrak und verschränkte sie hinter dem Rücken.
»Ich komme mir dämlich vor«, sagte er, »wenn mir wieder nichts anderes einfällt, als Sie zu bitten, vorsichtig zu sein.«
»Keine Panik. Sie kommen mir doch ohnehin immer in die Quere, wenn was schiefgeht.«
Er lachte und breitete die Arme aus. Katinka ging zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ich melde mich«, versprach sie und ging.
Sie traf Cuno am Bahnhof, wo sie den nächstbesten Zug nach Haßfurt nahmen. Cuno winselte während der ganzen Fahrt über den Verbleib seines Campingbusses. Katinka hatte nicht nachgefragt, ob Paula mit oder ohne Bus aufgelesen worden war, und Ruth Stein war im Augenblick nicht zu erreichen. Vom Haßfurter Bahnhof zur Polizeiinspektion war es nicht weit. Sie gingen zu Fuß, obwohl Cuno ohne Unterlass meckerte.
»Ich habe schlecht geschlafen«, murrte er. »Teufel auch, ich habe immerzu den Wagen in Flammen stehen sehen und dich mittendrin.«
Katinka beschloss, Hardo bei nächster Gelegenheit von Cunos Zerknirschung zu berichten.
»Was ist denn das überhaupt für eine Jacke?«, fragte er weiter.
»Eine von Tom«, sagte Katinka und strich über den blauen Cordstoff. »Die Reste von meiner sind in der Mülltonne gelandet.«
Ruth Stein empfing sie am Eingang.
»Paula sitzt in meinem Büro«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Sie können sich dort mit ihr unterhalten. Bringen Sie sie dazu, Anzeige gegen Wertinger zu erstatten. Er hat seinen Wagen mitten auf der Straße gestoppt. Zog Paula aus dem Bus und verpasste ihr eine Tracht Prügel. Außerdem muss sie sich von einer Ärztin untersuchen lassen, bitte sagen Sie ihr das«, erklärte Ruth Stein eindringlich.
»Und mein Bus?«, fragte Cuno.
Die Kommissarin musterte ihn von oben bis unten. Den Pferdeschwanz, die Indianerfeder, die Lederjacke, die gammeligen Jeans, die Cowboystiefel.
»Ihr Bus, Herr Fischer«, sie spuckte seinen Namen beinahe aus, »ist vollkommen unversehrt.«
Katinka nickte den beiden zu und ließ sich von einem Beamten zu Ruth Steins Büro bringen. Paula hockte auf einem Stuhl und sah so aus, als würde sie jeden Moment vor Müdigkeit zur Seite kippen und auf den Boden fallen. Ein Veilchen zierte ihr linkes Auge, das Kinn war geschwollen. Sie wirkte schmaler denn je, und die Locken hingen strähnig um ihr Gesicht. Auf Katinkas Eintreten reagierte sie mit einem erschöpften »endlich.«
»Hallo, Paula!« Katinka berührte sanft Paulas Schultern.
»Du solltest mich doch beschützen«, murmelte Paula.
»Dazu passt nicht, dass du allein die Verfolgung deines Angestellten aufnimmst.«
Paula zuckte nur die Achseln.
»Erzähl mir, was gestern Nacht passiert ist.«
»Josef kam auf einmal aus der Dunkelheit gerannt. Ich habe mich tierisch erschrocken. Verdammt noch mal, ihr wart beide weg, ich saß in dem stinkenden Bus!« Sie strich mit den Händen über ihre Jeans. »Ich fuhr ihm nach. Er bemerkte mich ziemlich bald, bog in einen Feldweg und stellte sich mitten im Wald quer. Ich musste anhalten. Wenden konnte ich nicht. Darf man hier rauchen?«
»Nein«, sagte Katinka. »Was war weiter?«
»Josef kam auf mich zu, riss die Fahrertür auf und zog mich raus. Ich hätte mich fast am Gurt stranguliert. Er brüllte mich an, ich sei von Sinnen, und ob ich alles zunichte machen wollte, was er und Hagen aufgebaut hätten.« Paula zitterte. Katinka legte ihr die Hand auf den Arm. »Er kreischte herum wie ein Irrer, und ich gab ihm raus, und dann hatte ich plötzlich seine Faust im Gesicht.« Sie fasste sich ans Kinn. »Ich kippte rücklings auf die Straße. Mein Steißbein tut verdammt weh. Er fiel über mich her und trommelte auf mich ein. Irgendwann traf er mein Auge. Ich schrie los vor Schmerz. Ich glaube, in dem Augenblick wurde ihm erst klar, was er tat.«
»Und dann?«
Paula betastete ihr Kinn.
»Er sprang in sein Auto, drehte und düste davon. Ich bin erst mal in den Bus geklettert und habe mich zusammengerollt und gar nichts gemacht. Vielleicht bin
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