Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
unliebsame Staubsaugerverkäufer an der Haustür.
Cuno machte seine Sache gut. Er mimte den erschütterten Bruder, dessen Schwester nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus gelandet war. Er gab vor, nicht zu wissen, wo er sie suchen sollte. Die mütterlichen Instinkte der Dame am Empfang weckte er so bedingungslos, dass Katinka ohne Schwierigkeiten zum Treppenhaus laufen konnte. Auf den Stationen herrschte Stille. Geschickt wich sie den gläsernen Kanzeln aus, hinter denen die Nachtschwestern Dienst schoben. Es ist so einfach, dachte sie, irgendwo reinzukommen.
Marie lag in einem Zimmer neben einer Frau, die an ein Drainagegerät angeschlossen war. Wahrscheinlich hatte sie eine Lungenoperation hinter sich. Katinka kannte die Apparatur. Nach seinem Lungenschuss hatte Hardo das gleiche widerliche Blubbern über sich ergehen lassen müssen. Die Frau hielt die Augen geschlossen. Katinka schlich zu Maries Bett.
»Marie?«, flüsterte sie und berührte die junge Frau an der Schulter.
»Was ist?«
Gott sei Dank, sie ist bei Bewusstsein, dachte Katinka.
»Ich bin es, Katinka Palfy. Wie geht es Ihnen?«
»Passt schon«, sagte Marie.
»Ich muss Sie unbedingt etwas fragen«, sagte Katinka. »Was meinten Sie heute, als Sie davon sprachen, Hagen und seine Geschäftsfreunde würden Geld nach Osten bringen?«
Marie leckte sich die Lippen.
»Wie ich es gesagt habe. Sie wollten in Marienbad einen Ableger ihres Geschäfts aufmachen.«
»In Tschechien?«
»Ja. Eine neue Filiale in Tschechien.« Marie schloss die Augen.
»Nicht einschlafen«, bat Katinka. »Was genau sollte das für eine Filiale sein?«
Marie zog eine Grimasse, als hätte Katinka nach dem Leben auf dem Mars gefragt. »Keine Ahnung.«
»Hat Hagen davon gesprochen?«
»Ab und zu. Er war eigentlich dagegen. Aber sein Buchhalter war Feuer und Flamme. Der hat sowieso einen Drall. Schuftet wie ein Brauereipferd. Was anderes gibt es für den nicht.«
»Kennen Sie einen Norbert Kahl?«
»Nie gehört.«
»Groß, schlaksig, Brille. Braunes Haar, wird bereits weiß.« Katinka hoffte, er würde sich doch noch als Maries Dealer entpuppen.
Marie runzelte die Stirn. »Vielleicht«, sagte sie. »Ich kenne ziemlich viele Leute.«
Die Frau in dem anderen Bett wurde unruhig. »Schwester?«, flüsterte sie.
»Ich muss weg«, zischte Katinka. »Marie, wenn Sie irgendetwas wissen über Hagen und sein Geschäft, dann sagen Sie es mir jetzt!«
»Schwester?«, kam es schwach aus der Dunkelheit. Über der Tür begann ein rotes Licht zu blinken.
»Fragen Sie doch die Paula. Die war mit ihm verheiratet.«
»Wo ist Miriam?«
»Woher soll ich das wissen. Die kleine Nutte geht mir sowieso auf den Geist.«
Auf dem Gang waren Schritte zu hören. Katinka tauchte gerade noch rechtzeitig unter Maries Bett, als die Tür geöffnet wurde.
»Frau Brühl? Sie haben geläutet?«
Licht flammte auf. Die Schwester machte sich an den Schläuchen zu schaffen. Das Gefummel zog sich unerträglich in die Länge. Katinka wagte kaum zu atmen. Wenn nur Marie den Mund hielt. Die Schwester zog Maries Decke zurecht, löschte das Licht und ging.
Katinka wartete eine Weile, bis sie unter dem Bett hervorkroch. Marie war eingeschlafen. Vorsichtig schlich Katinka zur Tür. Sie drehte sich um. Die Patientin an der Lungendrainage sah Katinka mit großen Augen an.
»Eine Filiale in Marienbad? Komisch. Ich meine, große Unternehmen verlegen ihre Produktion gerne nach Osten. Einfach wegen der Kosten«, sagte Cuno. Sie schlenderten zum Auto zurück. »Aber eine Klitsche wie Hagens? Sie produzieren ja nichts!«
»Hätte ein Import-Export-Geschäft in Tschechien Steuervorteile?«
»Kann schon sein. So genau weiß ich das nicht. Wertinger hat nichts davon gesagt. Aber natürlich habe ich ihn auch nicht gefragt. Ich hatte keinen Anlass.«
»Schon gut.« Katinka blinzelte in den klaren Nachthimmel. Die Luft war feucht, und die Sterne schienen ihr sehr groß, als stürmten sie unaufhaltsam näher.
»Hat dein Kerl wirklich mit dir Schluss gemacht?«, fragte Cuno unvermittelt.
Katinka blieb abrupt stehen.
»Ich meine nur, weil du rummachst, als wäre nichts.«
»Lass mich einfach in Ruhe«, sagte Katinka.
Cuno schnarchte in seinem Bus, während Katinka an Paulas Rechner saß und sämtliche Dateien durchstöberte, die sie sich in den letzten Tagen angeeignet hatte. Sie fand keine Hinweise auf Tschechien oder Marienbad. Vielleicht wirklich ein Hirngespinst, dachte sie und schenkte sich Wein nach.
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