Pferde, Wind und Sonne
sie nach Hause gekommen sind! Ihre Sachen kann man nur mit Gummihandschuhen anfassen!«
»Ich... ich bin in den Sumpf geraten«, gestand Alain kleinlaut. »Hast du die Pfähle nicht gesehen?« fragte Tante Justine trocken. Alain wurde unsicher. »Ja... doch! Aber der Schlamm hat sich verschoben, man muß die Pfähle versetzen...«
Mireille und Karin kamen gerade rechtzeitig die Treppe herunter, um diese Ausrede mitzubekommen.
»Gar nichts muß versetzt werden«, sagte soeben Tante Justine. »Jeder weiß, daß der Schlamm mit der Strömung wandert. Die Pfähle sind da, um auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Das weißt du auch!«
Alain schwieg. Tante Justine schob sich ungeduldig den Hut in den Nacken. »Willst du mir nun endlich erklären, warum du in den See geritten bist?«
Er krümmte die bloßen Zehen auf den Steinplatten... »Ich... nun ja... ich hatte >Glanzstern< entdeckt...«
»Das hätte ich mir gleich denken können«, knurrte Tante Justine. Sie setzte sich schwerfällig, nahm den Hut ab und fächelte sich damit Luft zu. »Also, ich warte! Was weiter?«
Verlegen rieb sich Alain mit dem Handtuch übers Haar. Er wollte nicht in allzu schlechtem Licht dastehen und suchte nach Worten. Entrüstet über sein Schweigen, platzte Mireille heraus: »Er hat mal wieder den Kopf verloren, wie gewöhnlich!« Mit kurzen Worten schilderte sie den Vorfall. Bei allem, was sie sagte, stimmte ihr Karin zu. Verärgert trat Alain von einem Fuß auf den anderen.
»Halb so schlimm«, brummte er, als er endlich zu Wort kam. »Mireille übertreibt. Mit ein bißchen Glück hätte ich mich auch allein herausziehen können...«
Tante Justine, die ihren Hut betrachtete, warf ihn plötzlich in hohem Bogen durchs Zimmer. »Glaubst du?« sagte sie eisig-»Ohne die Geistesgegenwart deiner Schwester hätte ein Suchtrupp acht Tage damit verbracht, mit Stangen den See nach dir abzusuchen!« Alain schluckte leer und schwieg. Plötzlich schlug Tante Justine mit der Faust auf den Tisch, so daß die Olivenschüssel einen Luftsprung machte. »Himmelherrgott! Bist du dir eigentlich klar darüber, was du getan hast? Und alles nur für einen verwilderten Gaul, der...«
Alains Gesicht leuchtete auf. Das war der Augenblick, den er nutzen konnte. »Ganz so verwildert ist er auch wieder nicht. Er hatte einen Verband an seinem Bein!«
Die Wirkung blieb nicht aus. Tante Justines Brauen zogen sich in die Höhe. »Was sagst du, einen Verband?«
»Das ist wahr«, fiel Mireille ein. »Irgend jemand hat >Glanzstern< verbunden.«
Tante Justine schüttelte den Kopf. »Merkwürdig. Soviel ich weiß, hat keiner der Gardians den Hengst auch nur gesehen. Es muß also jemand anders gewesen sein. Aber wer?«
Niemand schaute Karin an; niemand sah, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Tante Justine überlegte.
Unvermittelt sagte sie: »Diese Geschichte hat lange genug gedauert. Ich werde die entsprechenden Maßnahmen treffen.«
»Tante Justine...« Alains Stimme klang gepreßt. »Dein Versprechen gilt doch immer noch, nicht wahr? >Glanzstern< gehört mir, wenn ich ihn besteigen kann...?«
Die Frau seufzte hörbar. Mit einer Bewegung, die man nicht von ihr erwartet hätte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter. »Hör zu, mein Junge. Verletzte Tiere sind zuweilen unberechenbar. Manche fliehen die Menschen, andere suchen ihre Nähe. Vielleicht hat >Glanzstern< sich in seinem Unglück daran erinnert, daß die Menschen früher gut zu ihm gewesen sind. Das will aber nicht heißen, daß er sich dressieren und reiten läßt.« Sie sprach langsam und ein wenig traurig. »Du bist vom Gedanken, dieses Pferd zu besitzen, wie besessen, und Besessenheit ist immer gefährlich. Also, von heute an ist Schluß.«
Sie sah, wie Alains Gesicht sich verfinsterte, und der Druck ihrer kräftigen Hand verstärkte sich auf seiner Schulter. »Nein, laß mich ausreden! Ein gegebenes Versprechen muß man halten. Noch heute gehen wir zusammen auf die Weide, und du kannst dir ein anderes Pferd aus der Herde aussuchen. Du findest sicher...«
Sie unterbrach sich. Alain hatte ihre Hand brüsk abgeschüttelt. Wütend und eigensinnig rief er: »Du kannst deine Pferde behalten! >Glanzstern< will ich, und kein anderes!«
Tante Justine verzog keine Miene. Offensichtlich zwang sie sich zur Ruhe. »Man muß die Dinge sehen, wie sie sind«, sagte sie. »Selbst wenn es dir gelingen sollte, den Hengst einzufangen, könntest du ihn niemals zäumen und satteln. Er ist zu gefährlich! Ich will
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