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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Haustür Schläge. Meine Mutter prügelte ihre fünfundzwanzigjährige Toch ter in die Küche. »Nicht vor meinem Haus! Nicht in meinem Haus!«
    »Ich habe doch längst mit ihm geschlafen!«, hätte ich ihr gern entgegengeschrien, als sie mich wegen eines Kusses schlug. Aber ich wagte es nicht. Todt bat ich, mich unten an der Ecke rauszulassen. Wenn ich mit ihm ausging, gab ich ihr die Telefonnummer einer Freundin. Wenn meine Mutter dort anrief, log sie, ich sei gerade mal kurz raus, und alarmierte mich im Restaurant, damit ich meine Mutter anrufen konnte. Damals hätte ich ein Handy haben müssen. Was hatten wir uns nur für Demütigungen gefallen lassen. Alles um des lieben Friedens willen.
    »Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst«, sagte meine Mutter, »machst du, was ich sage. Und um zwölf bist du daheim.« Das sagte sie immer, der Zeitpunkt war austauschbar.
    »Ich kann die Füße auch auf den Tisch legen, wenn dir das lieber ist.«
    Das war der Moment, da meine Mutter früher zugeschlagen hatte. Schnippische Antworten endeten für mich immer hinter irgendwelchen Möbeln. Ich war auf den Schlag gefasst. Ich erwartete ihn. Ich war erpicht darauf, die Hand abzufangen. Einmal stärker sein. Selbstverständlich hätte ich meiner Mutter nicht wehgetan. Ich sah ihr im grünlich gelben Hausflur in die grauen Augen. Das hatte ich früher stets vermieden, wahrscheinlich, weil ich mich selbst sah, die Ratte, die immer glaubte, sie müsse zuerst beißen, damit sie nicht vom Spaten erschlagen wird.
    Von einer Sekunde auf die nächste begriff sie, dass sich alles geändert hatte. Sie gab nach, holte den Zweitschlüssel aus einem Pappschächtelchen in der Kommode unter dem Schutzengel und ging dann mit der heiligen Mathilde zu Rate, die geplagten Eltern hilft.

6
     
    Auf dem Gestüt wimmelte es von Polizei. Streifenwagen standen im Hof, Zivilfahrzeuge dabei. Der Einsatzwagen der Kriminaltechnischen Untersuchung stand vor dem Schulstall. Eine Unmenge Herren in Jeans und ein halbes Dutzend Uniformierte wuselten wie Ameisen durchs Stalltor hinein und hinaus und schwärmten mit Kladden aus, um die Personalien der Anwesenden aufzunehmen. Reiter drängten sich in Gruppen zusammen und schwiegen, wenn ich vorbeikam. Hinter mir flackerten dann die Worte »Siglindes Schwägerin« auf. Blieb man eigentlich Schwägerin und Schwiegertochter, auch wenn der Mann inzwischen fehlte?
    An der Brücke stand ein knochiger Bursche mit schief geknöpfter Hose und zerrissenem Pullover, das karikaturhafte Kinn unrasiert in der Sonne. Aggi, der Schulstallknecht. Im Tageslicht wirkte er wie die Ausgeburt mittelalterlicher Hölle.
    »Ich war’s net«, laberte er mich an, kaum hatte er meinen erschrockenen Blick gekapert. »Ich hab nix getan. War ein liebes Mädel. Sind alles liebe Mädel. Ich tu keinem was. Alles unschuldige Dinger. Von denen will nur der Teufel was, der Teufel Alkohol.«
    »Ist recht, Aggi«, sagte ich in die triefenden Äuglein hinein, »du hättest heut Morgen nur auch die Ställe ma chen sollen. Wann hast du sie denn gestern Abend gemacht?«
    »Ich bin nicht faul!«, fuhr der Bursche mit dem Kiefer auf, der fast die Hälfte seines grauen, stoppeligen Gesichts ausmachte. »Siglinde lügt. Ich bin nicht faul. Ich mach alles pünktlich und sauber. Wenn nur der Teufel nicht war, der wo mir den Schnaps hinstellt. Den Mädels tu ich nix. Niemals. Ich hab nie eine angefasst!«
    Aber dass er an den Ecken stand und glotzte, das konnte ich mir wohl vorstellen. Er laberte gleich den Nächsten an, als ich mich abwandte, um dem dasselbe zu erzählen, wie ich hörte.
    Am Eingang zum Schulstall stand eine elegante Mittvierzigerin mit geföhntem Dunkelblond in lindgrüner Bluse, sandfarbener Sommerjacke und beigefarbenen Hosen und sagte eben zu einem der KTU-Leute, der mit der Mistgabel zum Einsatzwagen der Kriminaltechni schen Untersuchung wollte: »Was wollen Sie denn damit?«
    Dem Polizisten verklemmte es die Kinnlade. Ich sah, wie er sich umdrehend »Seckel!« dachte. Eine Kriminalbeamtin von der PD Reutlingen, die ihre Mitarbeiter vor Ort siezte, war offenbar entschlossen, jede Kollegialität im Keim zu ersticken.
    »Grüß Gott«, sagte ich freundlich.
    Die Dame war erstaunt. »Guten Tag. Wo wollen Sie hin?«
    Jetzt war ich erstaunt. So scharf musste sie das nicht sagen. »Ich suche Siglinde Gallion. Ist sie im Stall?«
    »Da können Sie nicht rein.«
    Das war mir klar. »Darf ich erfahren, wer Sie

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