Pferdekuss
Innendienstposten in Hannover, vielleicht in der Krimi nalstatistik und Dokumentation, in den Außendienst bei der Polizeidirektion Reutlingen verschlagen hatte.
Aggi stand nicht mehr an der Brücke.
Der Schutzpolizist an der Stalltür hob das rotweiße Band. Wir bückten uns darunter hindurch ins warme Dunkel des Schulstalls. Feil hatte noch keinen einzigen Fleck auf ihrer sandfarbenen Hose. In den Boxen mummelten die Pferde scheinbar desinteressiert Heu, stellten aber die Ohren immer mal wieder in Richtung der Herren von der KTU. Jemand hatte Prinz irgendwo anders hingebracht. Eine graue Plane bedeckte die Leiche zwischen Mist und Stroh in der Box, deren Schiebetür weit offen stand. Die Leute von der KTU pinselten, pickten und knipsten.
Siglinde versteifte sich, als Feil die Männer anherrsch te, sie sollten die Plane von der Leiche heben. Auch in mir sträubte sich alles, noch ein zweites Mal hinzuschauen. Ich sah nur, wie Siglinde den Kopf schüttelte, und wand te mich ab.
Die Mistgabel, die ich vorhin in die Sattelkammer gestellt und die dann einer von der Spurensicherung in den Einsatzwagen hatte tragen wollen, lehnte nun wieder neben der Tür zur Sattelkammer. Gleich darüber hing ein Reitplan. In eine Liste mit Wochentagen und Reitstun denzeiten waren mit dem dabeihängenden Bleistift Namen eingetragen. Donnerstags und freitags gab immer noch wie zu meiner Zeit Tilde den Unterricht. Sie war Sekretärin in einem Notariat in Vingen, hatte Rückenprobleme und Übergewicht, konnte aber von den Pferden nicht las sen und versuchte deshalb, Kindern und Jugendlichen das Reiten beizubringen. Laut Plan waren die Schulpfer de jeden Tag vier und am Wochenende bis zu sechs Stunden im Einsatz. Man ersparte ihnen auch die Qualen eines Ruhetages.
»Schauen Sie mal her«, sagte ich zu Feil. »Das ist der Reitplan. Da können Sie sehen, wer gestern zum Unterricht angemeldet war.«
15 Uhr Anfänger, 16:15 Uhr Mittlere, 17:30 Uhr Fortgeschrittene. 19 Uhr S.
»Ach, Sie lassen Schulpferde in der S-Gruppe mitge hen?«, erkundigte sich Feil. S heißt schwer. Da mussten Pferde schon sehr gut sein.
»Nein, da gehen nur Privatpferde mit«, sagte Siglinde, ihre belegte Stimme freihustend. »Außer manchmal Schneekönig und Prinz.«
Auf der Liste standen nur Vornamen. Manche tauchten mehrmals die Woche auf. Vroni, Vanessa, Sabine und Petra standen montags und donnerstags bei den Fortgeschrittenen um 17:30 Uhr untereinander drin. Auch Lotte kam donnerstags um halb sechs. Eine Katja ritt ebenfalls donnerstags und außerdem noch am Montag und Freitag. Die musste wirklich Geld haben, wenn sie sich dreimal die Woche die Reitstunde für zwanzig Mark leisten konnte.
Feil riss mir vor der Nase die Liste aus den Reiszwe cken und wandte sich an Siglinde, die immer noch etwas blass aussah. »So, und jetzt zeigen Sie mir Ihre Kundenkartei.«
»Die ist im Büro.«
»Also bitte.«
Wir marschierten über die Arsbrücke zum Haupthaus zurück. Siglinde schloss das Büro auf und dann einen der beiden grauen Schränke. Für einen Moment sah ich, dass er Aktenordner enthielt, zahlreiche Schlüsselbunde, dar unter den für die Gesindezimmer, und eine grüne Kassendose. Offenbar verkaufte Siglinde die Zehnerkarten an die Reitschüler. Dann hatten die Reitlehrer nicht immer die Taschen voller Geld. Siglinde griff nach einem Kar teikasten und knallte ihn eine Spur zu trotzig auf den Tisch.
Feil runzelte die Nase. »Ich brauche die Nachnamen zu den Namen hier auf dem Reitplan.«
Siglinde lehnte sich im Stuhl hinter ihrem Bürotisch zurück. »Die finden Sie im Karteikasten. Bedienen Sie sich.«
Feil holte Luft.
»Vielleicht«, sagte ich, »kommen gar nicht alle auf dem Reitplan in Frage. Die um 15 Uhr sind doch wahrscheinlich Kinder, blutige Anfänger.«
Siglinde nickte.
»Die tragen keine Lederreitstiefel«, fuhr ich fort. »Außerdem werden sie nach der Reitstunde abgeholt oder müssen spätestens zum Abendessen zu Hause sein. Sonst gibt es eine Vermisstenanzeige. Dasselbe mag für die Mittleren um 16 Uhr 15 gelten. Sie sind auch noch nicht so lange dabei, dass es schon teure Lederreitstiefel sein müssen. Oder was meinst du, Siglinde. Ist unter de nen eine mit Lederstiefeln?«
So etwas musste ihr auffallen, wenn sie die Zehnerkar ten verkaufte. Der Gegensatz von kümmerlicher Reit kunst und teuerster Ausstaffierung provozierte in der Re gel die Spottlust von Meisterinnen wie Siglinde, die selbst die unbequemen Lederstiefel erst anzog,
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