Pferdekuss
doch nicht erklären.«
»Du hast die Leiche nicht gesehen«, sagte ich. »Prinz ist eine ganze Nacht darauf herumgetrampelt. So etwas darf nicht passieren.«
»Das weiß ich auch!« Siglinde sprang unvermittelt der Minderwertigkeitszorn früherer Jahre aus den Augen. »Ich bin nicht so dumm, wie du glaubst!«
Ich erschrak. Ich hatte vor ihr immer einen Heidenre spekt gehabt. Sie konnte so laut kreischen, dass selbst der General seine rhetorischen Krallen einzog. Ich hatte immer Angst gehabt, mir ihren Zorn zuzuziehen. Aber offenbar hatte sie meine damalige Scheu vor ihr als Dünkel interpretiert. Wir hatten viel zu wenig Zeit ge habt, einander richtig einzuschätzen.
»Siglinde, ich habe dich nie für dumm gehalten. Im Gegenteil. Ich kann nichts von dem, was du kannst. Ich könnte nie ein Gestüt leiten.«
Sie lächelte skeptisch. Anerkennung war rar im Hause Gallion. Todt hatte sich in mich verliebt, weil ich damit nicht geizte.
Ein Streifenwagen fuhr mit Blaulicht vor dem Bürofenster vor.
5
Die Schutzpolizei forderte die KASt samt Doku-Koffer nach. Die Zeit zwischen der Ankunft der Beamten der Kriminalaußenstelle, die im Revier Vingen saßen und zusammen mit dem Notarzt kamen, und dem Erscheinen der Kriminalpolizei aus der Polizeidirektion Reutlingen nutzte ich, um zu entwischen und meine Mutter heimzufahren. Zu sehr liebte sie den frommen Schauder des Todes anderer, als dass ich ihr von der Leiche im Stall erzählen mochte. Außerdem war sie erfüllt vom moribunden Zustand des Generals. »Bestimmt hat er sich bei seinen Weibergeschichten was geholt.«
»Na hör mal, er ist jetzt siebzig.«
»Na und. Das bin ich auch bald!«
Die Logik meiner Mutter hatte mich schon immer fasziniert, meistens allerdings aufgebracht. Als Katholikin sprach sie nicht aus, dass sie den General immer noch für einen Hurenbock hielt. Sie selbst fühlte sich mit ihren Anfang sechzig noch nicht als altes Weib. Warum also dem General die Gebrechen des Alters unterstellen, wenn man seine körperliche Schwäche auf Sünden zurückführen konnte? Meine Mutter glaubte sich moralisch gerüstet, um hundert zu werden.
»Seine größten Sünder«, bemerkte ich bissig, »straft Gott mit einem langen Leben.«
»Was willst du damit wieder sagen?«
»Nichts, Mutter. Aber an Aids wird Gallion nicht sterben.«
»Seit wann nennst du mich nicht mehr Mama, sondern Mutter?«
Es konnte nicht töchterliche Zärtlichkeit sein, die sie vermisste. Es war ihr vertrackter Sinn für meine Schwachstellen. Immer wieder ließ ich mich täuschen von dem einfachen Strickmuster von Sünde und Strafe, in das sie Siechtum und Tod nadelte. Dabei war sie alles andere als einfach gestrickt. Mit mikroskopischer Exaktheit pikste sie immer dann zu, wenn ich gerade anfing, mich erwachsen zu fühlen. Mama! Wann hatte ich sie je Mama genannt? Wahrscheinlich immer.
Ich entzog mich der Antwort in den Verkehr auf der Eninger Landstraße. Dabei hatte ich von meiner Mutter doch ausgerechnet das geerbt, was mir an ihr am meisten zuwider war: diese Kumpanei mit dem Sensenmann. Als mein Vater starb, übergab sie den Stab an mich. Ich über lebte, während Todt am Birnbaum verblutete. Später ka men andere Leichen hinzu. Vielleicht wäre es die Erlösung, wenn ich mich an den Unfall erinnern könnte, an den Moment, da Todt die Kontrolle über den Wagen, über sein Leben und über unsere Beziehung verlor.
Nicht nur, dass ich mich nicht erinnerte, lange Zeit hatte ich mir sogar alle Mühe gegeben, den Streit zu verdrängen, der uns auf der Schnellstraße von Stuttgart nach Metzingen angefallen hatte. Beide waren wir gereizt ge wesen, unzufrieden mit einem Konzert und genervt, dass wir in den Polstern der Stuttgarter Liederhalle Zeit verplempert hatten, die wir dringend hätten nutzen müs sen, um uns über den Unsinn unserer Fluchten vom Gallion’schen Hof in die Kultur klarzuwerden.
Zum ersten Mal forderte Todt ohne Umschweife, dass ich die Pille absetzte. Aber ich war nicht seine Frau geworden, um dem General Enkel zu schenken. Im Grunde ging es gar nicht um die Nachzucht von Gallions, sondern darum, dass der Sohn um des lieben Friedens willen vor dem Vater einknickte. Wie konnte er dem familiären Frieden den Vorzug geben vor dem ehelichen Glück? Er könne die Kinder ja nicht kriegen, sagte er, das müssten leider Gottes nun mal die Frauen tun. »Gott sei Dank«, keifte ich, »entscheiden das heute auch die Frauen, denn sie haben ja nachher die Kinder am Hals.
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