Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
vertragen es nicht, wenn sie he rumstehen und warten müssen, bis der Reiter wiederkommt.«
    »Erzählen Sie mir nichts vom Pferd. Das ist alles eine Frage des Willens.«
    Ich überlegte, ob sie den Willen des Reiters meinte, sein Pferd zu allem zu zwingen, was er wollte, oder den, ihre Untersuchung ernst zu nehmen. Die Frage lag nahe: »Was untersuchen Sie eigentlich? Es war doch wohl ein Unfall, oder?«
    Feil runzelte die Nase. »Glauben Sie das?«
    Wenn sie mich so fragte … »Prinz gilt als gefährlich.«
    »Und warum geht ein Mädchen, falls es ein Mädchen war, dann in seinen Stall?«
    »Ist eigentlich wahr. Allerdings, es könnte sein, dass das Mädchen, falls es eines war, glaubte, es verstünde sich mit Prinz gut. So ein alter Wallach kloppt die Fremden zusammen und schätzt ein paar Auserwählte, die ihn geschickt handhaben.«
    Ihr Sprudel und mein Kaffee kamen. »Siglinde kommt auch gleich«, sagte die Wirtin und ging wieder.
    »Dann könnte es zu einem Missverständnis gekom men sein«, fuhr ich fort. »Prinz erschrak über irgendetwas, schlug aus und traf sie unglücklich. Solche Missverständnisse kommen ständig vor. Die Mädchen verstehen oft Gestik und Mimik eines Pferdes nicht. Sie glauben einfach nicht, dass sie auch bei ihrem Liebling immer die Oberhand behalten müssen.«
    »Aber, Frau Nerz«, sagte Feil, »Sie haben doch die Leiche gesehen. Zumindest behaupten Sie das. Die Person wurde regelrecht zusammengeschlagen. Glauben Sie im Ernst, dass ein Pferd jemanden zu Brei tritt?«
    »Sie wissen doch, Pferde keilen gern und viel. Es ist ihre Waffe im Rangkampf. Ein alter Wallach wie Prinz beansprucht Respekt, auch von Reitern. Natürlich schlagen sich Pferde nicht tot. Prinz hat das Mädchen, beziehungsweise die Person, nur warnen wollen. Aber die vergleichsweise schwächliche Konstitution des Men schen hat zum Tod geführt. Es kommt doch immer wieder vor, dass ein Pferd seinem Halter die Nase abbeißt oder ihn krankenhausreif keilt.«
    »Das kommt vor«, sagte Feil und drehte ihr Sprudelglas. »Es kommt auch vor, dass ein Pferd auf einen leblosen Körper tritt, der im Stall liegt. Aber nach dem ersten Augenschein handelt es sich hier um eine wiederholte und andauernde äußere Gewalteinwirkung.«
    »Aber«, sagte ich, »es war doch das Pferd, oder?«
    »Ob noch andere Gegenstände zur Anwendung ka men, muss die Autopsie zeigen.«
    »Und wie würden Sie ein Pferd dazu bringen«, fragte ich, »dass es wiederholt auf einen anderen einkloppt, bis er tot ist, zum Beispiel auf einen, der sich in der Box befindet?«
    Feil sah mich an, beamtische Geheimniskrämerei im Gesicht, aber ein unwillkürliches Schulterzucken verriet reine Ratlosigkeit. »Wir stehen erst am Anfang. Wo wa ren Sie denn gestern Abend?«
    Ich lachte. »Ich habe den Stall heute Morgen um elf nach fünfjähriger Abwesenheit zum ersten Mal wieder betreten. Ich lebe seit dem tödlichen Unfall meines Man nes in Stuttgart.«
    Die Lokaltür ging und Siglinde erschien. Fleckige Reithosen mit speckigem Hinterleder und schwarze Augen, so trat sie gegen die blonde Kommissarin an. Ich stellte vor.
    »Schön«, sagte Feil schnippisch, »dass Sie endlich für mich Zeit haben. Ich brauche von Ihnen eine Personallis te und die Adressen aller Reitkunden.«
    Siglinde zog die Brauen zusammen. Feil besaß die erstaunliche Fähigkeit, ihren Gesprächspartner gleich mit den ersten Worten gegen sich aufzubringen.
    »Außerdem will ich von Ihnen hören, wer die Tote ist.«
    »Weiß ich nicht.«
    »Wieso wissen Sie das nicht?«
    »Wir haben zweihundert Reitschüler und über hundert Privatpferdehalter. Ich kann unmöglich wissen, wer wann in welchen Stall geht und nicht wieder herauskommt. Außerdem habe ich die Tote nicht gesehen.«
    Feil stand auf. »Dann werden Sie sie sich jetzt ansehen.«
    In Siglindes Augen trat ein schräger Zug. Sie hatte Angst. Das fand ich überraschend menschlich bei Siglinde.
    Bevor wir gehen konnten, mussten wir Sprudel und Kaffee bei der Lokalmutter bezahlen, die sich uns in den Weg stellte.
    »Müsste es nicht«, sagte ich, während Feil die Münzen zählte, »eigentlich längst eine Vermisstenanzeige geben? Wenn ein Mädchen abends nicht vom Stall heimkommt, dann machen sich die Eltern doch Sorgen. Haben Sie schon bei den Dienststellen nachgefragt?«
    »Sie müssen mich nicht für blöd halten«, sagte Feil mit ihrer hellen, etwas brüchigen Karrierestimme. Es musste ein ganz übles Schicksal sein, das sie von einem

Weitere Kostenlose Bücher