Pferdekuss
kurz be vor sie ein Pferd bestieg.
»Also schauen wir uns die Fortgeschrittenen um halb fünf an«, schlug ich vor.
Feil blickte tatsächlich fast dankbar.
»Die S-Reiter schließen wir mal aus. Wir gehen ja davon aus, dass die Tote eine Reitschülerin war, weil sie sonst nichts im Schulstall zu suchen gehabt hätte. Auf dem Reitplan ist kein Schulpferd für die gestrige S- Gruppe um sieben eingetragen. Also war im Schulstall um sieben Schluss. Aggi hat mit dem Ausmisten begonnen. Einige Mädels haben ihm vielleicht geholfen. Nur eines ist noch etwas länger geblieben, eines, das sich mit Prinz gut versteht. Dann ist es passiert. So gegen halb acht, schätze ich.«
»Okay«, sagte Siglinde und ging an den Karteikasten.
Im Abgleich mit dem Reitplan isolierten wir aus der Donnerstagsgruppe um halb fünf aus den zwölf Reitern acht weibliche. Jeder Karteikarte hing ein Foto und eine Haftausschlusserklärung an, die von den Reiterinnen oder ihren Erziehungsberechtigten unterschrieben worden war. Das bedeutete, dass im Falle eines Reitunfalls das Gestüt nicht haftbar war.
Da lagen Sabine Hauser, ein Lockenkopf von vierzehn, und Vroni Bremer, dreizehn, dunkelblond. Sie ließen sich, wie Siglinde mitteilte, von einer der beiden Mütter aus Reutlingen anfahren und heimbringen. Ausgeschieden. Dann Margarete Wellmann, eine blonde Walküre von zwanzig, ebenfalls raus. Lotte Facheisen war dunkelhaarig, fast dreißig, aber von zierlicher Statur. Die ließen wir mal draußen, zumal ihr Mann in Stuttgart viel Geld verdiente und sie darum Lederstiefel trug. Sabine Kurz war weißblond. Zurück ins Kästchen. Katja Bauer, fünfzehn, dunkelblond, kam mit dem Fahrrad aus Eningen, bei schlechtem Wetter mit dem Bus. Nun ja. Sophie Eberle sah nicht nach Lederstiefeln aus, sondern nach Spaltsitz und auf dem falschen Fuß Leichttraben. Petra Graber, sechzehn, wohnte in Vingen in der Berggasse zwölf, zeigte sich auf dem Foto teigig mit mausgrauen Dauerwellen, aufsässigen Augen und trotzigem Mund, sehr sympathisch. So hatte ich in ihrem Alter ausgesehen, billig und bitter, weil die ande ren in Lederreitstiefeln kamen, zum Beispiel Vanessa Bong art, fünfzehn, schmales Gesicht, nach hinten gezopftes dunk les Glatthaar und streberhafte Nase.
»Petra und Vanessa sind Freundinnen«, bemerkte Siglinde. »Ihre Mutter, die Heide, reitet auch hier. Bis vor einem Jahr hatten sie ein Pferd hier stehen, einen Württemberger, der in Hannover gezogen wurde.«
Feil lachte. Württemberger waren in Reiterkreisen nur dann akzeptabel, wenn sie aus einem Hannoveraner Stall stammten.
»Dann kam die Scheidung. Bongart ist nach Stuttgart. Er arbeitet in irgendeinem Ministerium. Sie haben den Gaul verkauft. Ihn konnte sowieso keiner reiten. Er be kam den Vollblutkoller, sobald er eine freie Fläche vor sich sah. Nicht mal Bongart konnte ihn halten. Vanessa und Heide wohnen weiter in seiner Villa in Vingen …«
Amselweg 39, las ich auf der Karteikarte. Das war nur zwei Straßen vom Haus meiner Mutter entfernt am Waldrand von Neu-Vingen.
»Vanessa reitet meistens Prinz. Oder hat ihn meist geritten …« Siglinde lächelte verzwickt.
Mir wurde mulmig. Die zermatschten Glieder in der Box von Prinz hatten einen Namen bekommen.
Feil raffte die Karteikarten zusammen. »Dann werde ich da mal ein paar Beamte hinschicken. Und von Ihnen, Frau Gallion, brauche ich dann noch die Personalliste.«
Siglinde schnutete.
»Andernfalls sähe ich mich gezwungen, mit einem Durchsuchungsbeschluss wiederzukommen. Sollten die Personallisten dann nicht zu erheben sein, müsste ich die Steuerfahndung zu Ihrem Steuerberater schicken. Wenn Ihnen das lieber ist? Na, sehen Sie.«
»Ziege!« Siglinde schleuderte der Kommissarin, kaum hatte sie die Bürotür hinter sich zugezogen, den Kugelschreiber hinterher.
»Aber«, gab ich zu bedenken, »in einem Mordfall tut man gut daran, die Ermittlungsbehörden ein wenig zu unterstützen.«
»Mord!« Siglinde blickte misstrauisch.
»Die Ziege glaubt nicht, dass Prinz der Täter war.«
»Wie?«
»Sie vermutet andere Gewalteinwirkung von außen. Aber das wird erst die Autopsie klären.«
»Ach so? Das ist doch Unsinn.« Siglinde stand auf und ging an den Aktenschrank. Der Lederbesatz ihrer Hose schmiegte sich mit steiler Falte ins Gesäß. »Wie so«, sagte sie, einen Aktenordner auf den Tisch wuchtend, »wieso kennst du dich mit Polizeiarbeit aus?«
»Ich bin im richtigen Leben Journalistin.«
»Ach! Und ich dachte immer …
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