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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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bereithält.
    »Das hättest du sehen müssen«, sagte Siglinde. »Am Ende hat Hexe keinen Huf mehr hochgekriegt.«
    Ich stand auf und blickte in die Personalakte mit dem Arbeitsvertrag. Fünfhundert Mark monatlich bei freier Kost und Logis nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge. Jahrgang 57.
    »Was ist denn das für eine Unterschrift? Hoja Lem. Der kann ja nicht einmal seinen Namen richtig schreiben. Kann der überhaupt lesen?«
    Siglinde blickte verblüfft auf die Druckbuchstabenun terschrift.
    »Hast du ihn jemals was lesen sehen?«
    »Jetzt hör aber auf! Er liest die Bild -Zeitung zum Mittagessen.«
    »Mehr Bild als Zeitung.«
    »Quatsch. Ich meine, ja, aber wo gibt’s das denn, dass einer nicht lesen und schreiben kann? Hier in Deutschland!«
    »Hat er irgendwelche Papiere als staatlich geprüfter Pferdewirt, Zuchtwart oder Bereiter vorgelegt? Dann müsste er eine schriftliche Prüfung überstanden haben.«
    »Wir haben ihn als Burschen eingestellt, wie du am Vertrag siehst. Da braucht er keine Papiere. Er hat nie eine Gehaltserhöhung verlangt.«
    »Wer hat ihn denn eingestellt? Du oder dein Vater?«
    »Papa macht nur die Buchführung. Ich lasse mir nicht gern dreinreden, wie du weißt.«
    »Hast du dich erkundigt, warum Hajo aus Marbach weggegangen ist?«
    »Wozu? Ich habe gleich gesehen, dass er mit Pferden klarkommt. Er hat den absoluten Züchterblick. Führ ihm ein Pferd vor, und er nennt dir den Pedigree bis zu den Urgroßeltern.«
    Mich interessierte die englische Bedeutung des Pedigrees mehr, nämlich das Vorstrafenregister. Doch sah ich in diesem Moment draußen ein untersetztes mausblondes Mädchen in Gummireitstiefeln über den Hof marschieren.
    »Bin gleich wieder da«, sagte ich und stürzte hinaus auf den Hof. »He, Moment! Bist du Petra Graber?«
    Das Mädel drehte sich um. Ihr rundes Gesicht unter welken Dauerwellen hatte einen entschiedenen Unterschichtzug.
    »Eigentlich suche ich Vanessa Bongart«, sagte ich. »Deine Mutter sagte, du wolltest sie auf dem Weg hierher abholen.«
    In Petras Gesicht reifte Trotz. »Was wollen Sie denn von Vanessa?«
    »Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    Da half nur erwachsene Hochnäsigkeit. »Ihr beide seid doch für heute gar nicht zur Reitstunde eingetragen.«
    »Na und? Wir reiten auf Rex und Feh aus. Auf Privatpferden. Oder ist das verboten?«
    »Aber Vanessa ist nicht hier«, sagte ich. »Zu Hause ist sie auch nicht. Es geht zumindest niemand ans Telefon.«
    »Bin ich denn ihr Kindermädchen?«
    »Aber gestern zur Reitstunde um halb fünf war sie da?«
    »Hm, ja.«
    »Seid ihr danach zusammen heimgeradelt? Oder ist sie noch geblieben?«
    »Ja.«
    »Was denn nun? Sie ist noch geblieben, ja? Und warum? War sie mit jemandem verabredet?«
    »Weiß ich doch nicht.«
    »Ich dachte, ihr seid Freundinnen.«
    In ihren Augen hatte das Misstrauen die Farbe blaugrün. »Was geht Sie das eigentlich an? Außerdem muss ich jetzt gehen.«
    Etwas x-beinig mit unglücklich dickem Hintern und Reitkappe und Gerte in der Hand ging sie zur Arsbrücke fort. In drei Minuten würde sie einem Polizeibeamten über den Weg laufen, ihre Personaldaten lassen müssen und erfahren, warum ich diese Fragen gestellt hatte. Da bei fiel mir ein, dass Vanessas Fahrrad noch draußen auf dem Parkplatz stehen musste, wenn sie gestern Abend den Stall nicht mehr verlassen hatte. Aber ich erinnerte mich nicht, heute Vormittag ein Fahrrad auf dem Parkplatz gesehen zu haben.
    Ich kehrte zum Wirtschaftshaus um und versuchte, mein mütterliches Erbe abzuschütteln, all die Geschich ten von Vergänglichkeit, von offenen Beinen, Kehlkopfkrebs und Blut im Stuhl, all diese Toten, deren Fotos man vors Glas unter den Rahmen des Küchenschranks klemmte, diese Kreuze auf Gräbern, diese Lust am Tod. Hör auf, dich um sterbliche Überreste zu kümmern. Der Tod der Reiterin geht dich nichts an. Den Tod von Todt wirst du so auch nicht klären.
    Außerdem hatte der General mich nie so behandelt, dass ich jetzt das Bedürfnis verspüren müsste, Schaden von seinem Gestüt abzuwenden. Höchstens Siglinde hat te es verdient, dass man ihr das Leben ein wenig erleichter te. Aber ob ihr wirklich damit gedient war, wenn am Ende ihr Hauptbereiter Hajo in Handschellen abgeführt wurde?
    Siglindes Blutsteinaugen funkelten mir entgegen, als ich wieder das Büro betrat. »Stell dir vor, was ich gerade eben erfahren habe. Ich habe nämlich Karla angerufen. Sie schafft als

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