Pferdekuss
Sekretärin in Marbach.«
»Ah.«
»Und sie hat mir erzählt, dass sie Hajo vor fünf Jahren entlassen haben. Drei Tage danach brannte eine Scheune.«
Ich war verblüfft. So sehr hassliebte sie ihn, dass sie ihn unbedingt hängen sehen wollte.
»Und warum haben sie ihn entlassen?«
»Weil … nun, Karla erinnert sich deswegen so gut an ihn, obwohl er nur vom Schulstall der Bursche war, weil es damals einen Skandal mit einem Mädchen gab. Er soll ihr nachgestiegen sein. Da gab es dann wohl was in einer Sattelkammer. Jedenfalls war es eindeutig, und sie haben ihm fristlos gekündigt und mit einer Anzeige gedroht, wenn er sich je wieder blicken lässt.«
Die Handschellen blitzten schon.
»Dann gnade ihm Gott«, sagte ich, »dass Hajo jetzt ein lückenloses Alibi hat.«
»Ich weiß nicht.« Bis zu Mord wollte Siglinde augenscheinlich nicht gehen, aber es gefiel ihr sichtlich die Idee, den abhängig beschäftigten Hauptbereiter mit den Marbacher Vorfällen endlich in den Griff zu kriegen. Der durfte nicht mehr mucken, wenn er nicht Stellung und Kopf verlieren wollte. »Außerdem«, sinnierte sie, »ich glaube gar nicht, dass es Mord war. Die Polizei wird nichts finden. Es war ein Unfall. Hajo ist kein Mörder. Dazu ist er viel zu weich.«
»Zu weich?«
Just in diesem Moment ging die Tür auf und ebenjener platzte ins Büro.
»Schimmel ist da, um Prinz einzuschläfern. Hast du das etwa angeordnet?«
»Jetzt mach keinen Aufstand. Prinz ist nicht mehr tragbar.«
»Er ist nur seinem Instinkt gefolgt. Er kann nichts da für. Diese Gören wissen doch genau, dass sie ihn in Frieden lassen sollen. Jeder weiß das.«
»Dann schläfern wir doch die Gören ein«, sagte ich munter.
»Sparen Sie sich diesen Zynismus!«, fuhr er herum. »Leute wie Sie stecken ihre eigene Mutter in die Klapsmühle. Und wenn ein Pferd Probleme macht, dann ab damit zum Metzger und zu Sauerbraten verhackstückt.«
»Aber bitte mit Rosinen!«
Hajo schnaubte und wandte sich wieder Siglinde zu. »Es gibt keinen Grund, Prinz jetzt einzuschläfern. Ich habe ihn zu Hexe und Sascha auf die Nachtkoppel gestellt. Da tut er keinem was.«
»Früher oder später müssen wir es doch tun«, sagte Siglinde. »Wir haben zu viel Publikumsverkehr. Wir können uns so etwas nicht leisten. Wir sind auf die Reitschüler angewiesen und darauf, dass die Gemeinde uns unterstützt. Seitdem die Tochter des Försters bei uns reitet, dürfen wir auch in den Wald. So geht das nun mal. Wenn die Kinder nicht mehr kommen, wenn die Eltern den Kindern verbieten, hier zu reiten, dann gute Nacht. Wenn sich das rumspricht, dass unsere Pferde die Kunden tottreten … wenn das durch die Presse geht!« Sie warf mir einen prüfenden Blick zu. »Ich seh schon die Schlagzeile …«
»Mörderpferd kriegt Gnadenbrot«, soufflierte ich.
Angesichts der zwei Weiber, die einander sekundierten, schrumpelte dem Mann der Schwanz. Hajo ächzte und zog die unteren Augenlieder hoch. Sein Blick war so schwer zu orten wie der eines Pferdes, das fast dreihundertsechzig Grad überblickt, aber das Gras vor der eigenen Schnauze nicht sehen kann. Der Blick in die Augen ist auch für Pferde das Signal für Aggression, weshalb ein Bereiter danebenschaut, wenn er ihm an den Kopf fasst. Offensichtlich ähneln sich die Hirnstrukturen von Mensch und Tier so sehr, dass jeder Säuger erkennt, wo sich in so unterschiedlich geformten Schädeln wie denen von Pferden und Menschen die Augen befinden. Offen bar war das Hirn des Hauptbereiters auch dem menschlichen ähnlich genug, dass er merkte, dass er sich rationalen Argumenten beugen musste.
»Aber könnte man nicht erst einmal einen Käufer für Prinz suchen«, sagte er.
»Wer soll den denn kaufen?«
»Vanessa Bongart zum Beispiel. Sie reitet ihn sowieso ständig. Der Vater hat, wie du weißt, genügend Geld. Und sie will ihn schon lange haben.«
Siglinde biss sich auf die Lippen und sah mich an. Ihr plötzliches Schweigen bewog auch Hajo, mich anzusehen.
»Wie weit«, sagte ich, »würden Sie denn gehen, um Prinz das Leben zu retten? So wie es im Moment aussieht, haben Sie sogar eine gute Chance, wenn Sie zugeben, dass Sie ein Mörder sind. Dann wäre das Pferd aus dem Schneider. Außerdem könnten Sie uns dann auch gleich sagen, wer die Tote ist. Die Polizei würde sich freuen.«
In Hajos Augen blitzte ein schräger Funke. Mich woll te er keiner Antwort würdigen, aber er wandte sich an Siglinde. »Nimm dich in Acht. Der Schuss könnte nach hinten
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