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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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losgehen.«
    Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Büro, ohne die Tür zu knallen. Vom Fenster aus sah ich, wie er mit langen Beinen zur Brücke eilte.
    »Das war eine Drohung«, stellte ich fest.
    Siglinde lachte. »Ach was! Er droht immer, aber er tut nichts. Als sein Arabal vor drei Wochen auf der Weide zusammenbrach und verendete, da drohte er, er werde mit der Flinte alle Spaziergänger abknallen, die sich den Koppeln mit Grünzeug nähern. Du kennst das ja, sie meinen immer, sie müssten die Pferde füttern. Das steckt einfach drin in den Leuten. Zucker für Pferde. Und wenn sie nichts dabeihaben, dann reißen sie Grünzeug aus. Bei Eibe reicht schon ein kleines Zweiglein.«
    »Welches Pferd ist denn so instinktlos und frisst Eibe?«
    »Schimmel meint, das könnte vorkommen, vor allem bei jungen Stallpferden, wenn sie neugierig sind. Arabal war absolut neugierig und furchtlos. Du hättest ihn mal sehen sollen, wie er auf die Hindernisse losging. Selbst Hajo konnte ihn kaum halten. Es ist wirklich eine Schan de. Nebenbei haben wir auch eine Stange Geld verloren, wenn Hajo recht behält. Denn wenn eines von den beiden Fohlen Arabals wirklich in Iffezheim gewinnt, dann hätten wir für jedes seiner nächsten Einjährigen auf der Herbstauktion in Deauville dreihunderttausend bekommen.«
    »Aber Arabal gehörte doch nicht Hajo.«
    »Natürlich nicht. Er hat ihn nur ausgebildet. Deshalb muss er sich auch gar nicht so aufspielen, als ob ihm je mand das Pferd genommen hätte. Es ist doch so: Ich hät te Millionen machen können. Eigentlich müsste ich ihn haftbar machen, weil er nicht besser aufgepasst hat.« Sie betrachtete ihre handschriftliche Personalliste. »Ob das der Ziege wohl reicht? Ach was, es muss. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich muss mit Schimmel reden. Wenn er schon mal da ist, kann er sich wenigstens den Hannibal ansehen.«
    Sie nahm die Liste, schloss das Büro ab und war weg, ehe ich kapierte, dass Hajo sich durchgesetzt hatte. Prinz wurde jetzt offenbar doch nicht eingeschläfert.

8
     
    Ein Dutzend Schulpferde befanden sich mit ihren jugend lichen Reiterinnen und Reitern auf der großen Außenbahn neben der Halle. Auf dem ersten Pferd, einem Hannoveraner, saß ein Mädchen, das auch Vanessa hätte heißen können. Das ungeschriebene soziale Gesetz lautete, dass die Schönen und Reichen immer die besten Reiterinnen waren und darum die Vorpferde bekamen. Die mit den Brillen hingegen gurkten der Abteilung hinterher. In der Mitte der Bahn stand Tilde, eine Frau mit grauem Kurzhaarschnitt, mitleidlosem Zug im Gesicht und der Statur eines in die Jahre gekommenen Ziegenbocks. Sie war dick geworden, weil sie wegen der Bandscheiben nur noch selten ein Pferd bestieg, und wenn, dann nur im Schritt durchs Gelände bummelte. Aber sie trug Reithosen, als ob es gelte zu demonstrieren, dass sie jederzeit konnte, wenn sie wollte, im Gegensatz zu den Anfängern, die sie unterrichtete und die sich, wenn der Gaul nicht tat, was sie wollten, mit dem Satz rausredeten: »Der will nicht.«
    »Abteilung, Terap , marsch! Und Leichttraben.«
    Allmählich zockelte die Abteilung los. Die Pferde schlurrten, die Mädchen und Jungs versuchten, jeden zweiten Schritt, immer dann, wenn die bahnäußere Pfer deschulter vorging, den Hintern aus dem Sattel zu bekommen. Daheim erklärten sie dem Vater, der Trab nicht vom Galopp unterscheiden konnte, dass das Kommando Scheeritt Schritt bedeutete und Terap Trab und dass man am Anfang leichttraben musste und dann später aussitzen und das Pferd an den Zügel stellen.
    Kommissarin Feil kam auf dem Weg vom Pferdebad herbei und blieb stehen. Ihre hellbeigefarbene Jacke sah irgendwie anders aus, gepunktet. »Die werden es nie lernen«, bemerkte sie. »Schauen Sie sich das an. Die Köpfe wackeln, die Beine baumeln. Es gibt nur wenige Menschen, die je ein Gefühl dafür kriegen.«
    Ich vermutete im Stillen, dass Feil sich zu den wenigen zählte.
    »Durch die Bahn wechseln!«, kommandierte Tilde. Die Karawane schwenkte auf die Diagonale. Die Kinder zogen an den Zügeln.
    Feil schrie auf. »Das ist ja grauselig. Mit dem Gesäß lenkt man ein Pferd! Gymnasium des Reiters, wissen Sie, was das ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sehen Sie! Die meisten haben keine Ahnung, dass man bei der Parade nicht am Zügel zieht, sondern sie mit dem Gesäß setzt, und zwar im richtigen Moment. Aber dazu muss man halt spüren, wo sich das Hinterbein des Pferdes gerade befindet. Ein Pferd

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