Pferdekuss
Waschbecken und Schließfächern für Putzzeug und Pferdedecken der Pri vatpferdebesitzer. Sie kauerte am Boden und war dabei, Schließfach Nummer 8 auszuräumen.
»Igitt, das klebt ja alles.« Auf ihrem cremefarbenen Sommerblazer blühten hunderte kleiner erdfarbener Schmutzwasserpunkte. Das war mir vorhin schon aufgefallen, als sie mich an der Reitbahn über das Gymnasium des Reiters belehrte.
Ich ging bei ihr in die Hocke, Huffett, Pinsel, Lappen fürs Sattelfett, Bürsten und Schwämmchen im Putzkasten zwischen uns. »Suchen Sie was Bestimmtes?«
»Der Schlüssel für dieses Schließfach lag bei der Toten.«
»Dann können Sie die ganze Liste mit den Reitschülerinnen vergessen. Soweit ich weiß, haben Schließfächer nur diejenigen, die hier ein Privatpferd stehen haben.«
»Die Bongarts haben ihren Schlüssel nicht zurückgegeben, nachdem sie ihr Pferd verkauft haben, sagt Frau Gallion.«
»Dann ist Vanessa also inzwischen identifiziert?«
Feil blickte hoch. »Seien Sie nicht so voreilig. Wir ge hen nur zunächst einmal davon aus, dass sie es ist. Vielleicht wissen wir Genaueres, wenn wir endlich Vater oder Mutter erreichen.« Mit spitzen Fingern klaubte sie das Putzzeug aus der Kiste. Offenbar hatten ihre lieben Kollegen für sie nirgendwo mehr ein paar Handschuhe auftreiben können. Striegel, Kardätsche, Bürste, Schimmelhaare flogen. »Bäh!«, machte sie und ließ eine Tüte mit Trockenleckereien für Pferde, die rötlichem Hundekuchen ähnelten, vor meiner Nase fallen. In der Tüte, das sah ich, befand sich ein Grünzeug, das da nicht hineingehörte.
»Übrigens«, sagte ich, »ich habe die Stuttgarter Telefonnummer von Bongart.« Ich zog mein Handy und aktivierte die Nummer des letzten Anrufs. »Fragen Sie mich nicht, wieso er mich angerufen hat. Ich habe ihm jedenfalls nichts gesagt.«
Feil löschte die Missbilligung nicht aus ihrer geföhn ten Mimik, setzte aber die Wählelektronik in Gang, stand mit knacksenden Knien auf und ging vor die Tür.
So hatte ich Gelegenheit, in die Tüte mit den Pferdele ckereien zu langen. Sonderlich beschlagen in Grünzeug war ich nicht, aber nach Tanne, Fichte oder Kiefer sah der Zweig nicht aus. Die Nadeln waren weich und dunkelgrün. Ich erinnerte mich plötzlich, dass eine Hecke mit solchen Nadeln und kleinen hochroten Beeren in Neu-Vingen stand, zwischen der Wieselstraße und dem Amselweg, wo Bongarts wohnten. Eibe!
Draußen vor der Tür überschlug sich Feils Stimme bei dem Versuch, der Sekretärin im Innenministerium klar zumachen, dass Herr Bongart sehr wohl aus der Konferenz geholt werden könne, wenn die Polizei ihn zu sprechen wünschte. Wollte sie dem armen Vater in diesem Ton am Telefon beibringen, dass seine Tochter von ihrem Lieblingspferd zu Matsch und Mist getreten worden war?
Ich steckte das Eibenzweiglein in die Innentasche meines Jacketts. Ein Dutzend grüne Nadeln zwischen dem rostroten Möhrengebäck mussten der Polizei eigentlich genügen, um herauszufinden, dass Vanessa in ihrem Fach ein äußerst starkes Pferdegift lagerte. Vor allem bei dem Sachverstand Feils.
»So? Nicht da?«, hörte ich sie sagen. »Haben Sie nicht eben noch behauptet, er sei in einer Sitzung?« Die Antwort fiel offenbar kurz aus. Die Kommissarin bedankte sich in den höchsten Tönen der Ironie und kam herein, um mir das Handy zurückzugeben. »Der glaubt wohl, mit mir kann er’s machen. Dann schicken wir eben zwei Be amte ins Kultusministerium.«
Während sie redete, langte ich die Reitkappe von ganz hinten aus dem Fach. Es war ein modernes sturzhelmartiges Gerät mit Plastikteil als Kinnschutz. Innen in der Kappe klebte ein beschriftetes Pflaster. Ich reichte sie an Feil weiter.
»Bongart«, las sie vom Pflaster ab. »Na bitte. Dann soll die KT das jetzt alles mitnehmen.«
»Haben Sie auch die Mistgabel aus dem Schulstall si chergestellt?«, fragte ich.
»Welche Mistgabel?«
»Die, die innen in der Sattelkammer stand und jetzt davor lehnt.«
»So ein Ding geht doch durch tausend Hände.« Feil schnippte sich die Schimmelhaare vom fleckenübersäten Blazer und kratzte an einem der kleinen Punkte. »Aber mitnehmen können wir sie ja mal.« Die kleinen Pünktchen blieben.
»Ich habe heute früh auch schon ein Kostüm ruiniert«, sagte ich von Frau zu Frau.
»Das hat er mit Absicht gemacht. Es war Absicht. Dieser Hajo hat den Gaul aus dem Wasserbecken geholt, und der hat sich natürlich geschüttelt, bevor ich wegkonnte. Er hätte mich wirklich vorwarnen
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