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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Gallion.«
    Oder er wollte mich an der Nase herumführen. »Ha ben Sie was dagegen, wenn ich trotzdem auf der Nachtkoppel nachschaue?«
    »Aber nein, gar nicht. Das trifft sich sogar gut. Ich wollte Ihnen nämlich etwas zeigen.«
    Ich wurzelte sofort im Gras. »Was denn?«
    »Das werden Sie schon sehen. Kommen Sie.«
    Das alte Selbstschutzprinzip hielt gegen. Geh nie mit einem Mann in die Büsche, der dir etwas zeigen will. Die Nachtkoppel lag sehr abgeschieden.
    »Nein danke.« Ich wandte mich ab.
    »He!«, rief er. »Hier geht’s lang.«
    Ich hörte Gras hinter mir rascheln. Er wird doch nicht, dachte ich, aber da spürte ich schon Finger am Ellbogen. Reines Adrenalin flutete mein Blut. Was glaubte der eigentlich, wer er war? Verpasste Kommissarin Feil eine Dusche, die ihren Blazer reinigungsreif machte, und fass te mich an. Und wenn er hundertmal seine Pferde fromm machte mit Sporen und Kandare, mich nicht. Ich fuhr herum, direkt in ihn hinein, rammte meine Schulter gegen seine, hakte meinen Fuß hinter seine Ferse und riss ihn um.
    Sein Stiefel fuhr gen Himmel, der Kopf ins Gras. Während er noch rückwärts fiel, schoss mir ins Bewusstsein, dass ich das nicht hätte tun dürfen, ohne mich vorher zu vergewissern, dass es keine Zeugen gab. Monatelanger Hohn und Spott war ihm sicher, auch wenn er augenblicklich vernichtend zurückschlug.
    Plötzlich wurde mir klar, dass ich von meiner Mutter den Jähzorn geerbt hatte. So also fühlte sich das an, wenn es einem die Sicherung raushaute. Man fühlte sich auch noch im Recht.
    Man hatte Dutzende Gründe, sich im Recht zu fühlen, vor allem die Not, sich Respekt zu verschaffen. Aber so einer nahm eine Demütigung nicht hin. Jetzt hatte ich Krieg.
    Ich gewann ein paar Meter Kampfabstand, während sich Hajo auf die Füße rappelte, die grausig blauen Augen geschlitzt. War es Wut oder Respekt? Wieder einmal versuchte ich, aus dem Blick eines Mannes abzulesen, was er fühlte und was er tun würde. Aus dieser Abhängigkeit kamen wir Weiber nie raus. Wir konnten noch so sehr im Recht sein, wir fürchteten seine Rache. Kam sie gleich?
    Er klopfte sich das Hinterleder, hob das Kinn und schnalzte mit der Zunge. »Immer mit der Ruhe, Mädel. Keine Panik.«
    Nein, er rächte sich nicht gleich. Er würde es überlegt tun. In kaltem Zorn hatte er nach seiner Entlassung die Scheune in Marbach abgefackelt. Genauso bedacht hatte er Vanessa getötet. Und jetzt kringelte er die Lippen.
    »Frau Nerz, Sie müssen mir die Gelegenheit geben, Ihnen etwas zu zeigen. Sie trauen mir einen Mord zu. Sie haben mich vorhin vor Siglinde praktisch beschuldigt, ich hätte Vanessa umgebracht.«
    »Falsch. Ich habe den Namen Vanessa nicht erwähnt. Ich wollte, dass Sie ihn nennen. So wie jetzt.«
    Er hob die Hände. »Ich weiß es von der Kommissarin. Sie glaubt, dass die Tote Vanessa ist.«
    »Sie nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Haben Sie heute früh die Schulpferde versorgt? Wa rum Sie selber. Hätten Sie nicht irgendeinen Knecht beauftragen können? Es laufen doch genug rum.«
    »Ehe ich einem Knecht sage, dass Prinz zwei Scheffel Hafer kriegt und Schneekönig nur einen halben und dass Aldo nur Kraftfutter haben darf, da mache ich das doch lieber selbst. Und misten kann der Aggi auch am Mittag, wenn er den Rausch ausgeschlafen hat. Dass Aggi betrunken sein würde, wusste ich schon gestern Abend. Er hat sich mal wieder von irgendwoher eine Flasche Schnaps ergaunert.«
    »Und Sie haben tatsächlich keine Leiche in Prinz’ Box gesehen?«
    Hajo zog kaum merklich die Brauen zusammen. »Nein. Ich habe ihn durchs Gitter gefüttert und nur in den Trog geschaut.«
    »Und gestern Abend? Haben Sie Vanessa da gesehen? Und wo?«
    »Ich habe sie nicht gesehen. Aber ihre Mutter, Heide. Sie ist bei mir in der S-Gruppe mitgeritten, und zwar auf Zoro, einem von Gallions Pferden. Wenn Sie wissen wollen, warum der alte Gallion seinem Zoro eine so schlechte Reiterin zumutet, müssen Sie ihn fragen.«
    »Dann geben Sie den Unterricht um sieben?« Wenn die Gerichtsmediziner feststellten, dass Vanessa vor acht Uhr zu Tode gekommen war, dann hatte er ein Alibi.
    »Immer donnerstags«, sagte Hajo. »Die Leute wollen von einem Bereiter unterrichtet werden.«
    »Sie sind doch gar kein Bereiter. Sie sind Stallbursche.«
    »Fragen Sie Siglinde, was ich bin, wenn Sie mir’s nicht glauben. Darf ich Ihnen jetzt das zeigen, was ich Ihnen zeigen will?«
    Er wandte sich, ohne meine Antwort abzuwarten, dem Zaun der Nachtkoppel zu.

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