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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Sie reden. Sie reden und reden und andere müssen damit leben. Vier weiße Wände, vor dem Fenster Gitter, ein Hof aus Beton und die Bäume alle hinter der Mauer mit Stacheldraht. Wissen Sie überhaupt, wie weh es tut, eingesperrt zu werden?«
    Mein Blick kehrte zurück an den Abendbrottisch in der Gallion’schen Stube, auf dem sonntags der Kaninchenbraten dampfte. Ich saß eingeklemmt zwischen dem General und seinem Junior, angerüffelt von dem einen und zum Schweigen verdammt, damit der andere nicht noch mehr litt. Zwei Jahre lang hatte ich mich angestrengt, Todt nicht merken zu lassen, dass seine Angst vor der eigenen Wut kein Grund war, seinen Vater nicht endlich samt seiner Erbschaft zum Teufel zu wünschen. Diese grundlose Angst des Sohns, am Vater zum Mörder zu werden, diese sinnlosen Schuldgefühle gegenüber Siglinde. Zwei Jahre lang ignorierte ich die Scham, dass mein Schwiegervater meinen Mann ungestraft einen Schlappschwanz schimpfen durfte. In Wahrheit hatte Todt nie auch nur in Erwägung gezogen, meiner These zu glauben, dass er Siglinde hatte fallen lassen, weil sein Vater ihn ablenkte. Ich war nur das liebende Eheweib. Es war meine Rolle, ihn mit Unschuldsvermutungen aufzupäppeln, wenn ihn Schuldvorwürfe plagten. Mein Freispruch war selbstverständlich, aber er wollte von seinem Vater freigesprochen werden. Er wollte den Freispruch erster Klasse unter Männern. Und ich hatte nicht gemerkt, dass ich in Todts Seelenleben nur die Nebenrolle spielte.
    Mir wurde schwindlig. Die Wiese beulte sich mir ent gegen. Hilfe. Vierfach und achtfach eierten blaue Augäp fel in mein Hirn. Bloß nicht in die undelikaten Hände des heublonden Kerls geraten.
    »Sie wollten mir doch was zeigen.«
    Die Augäpfel sprangen in sein Gesicht zurück. Der Boden ebnete sich wieder. Unterdessen war die Erde gealtert. Der Himmel war verblasst, die Wolken grau geworden, die Weide bis auf die Wurzeln abgegrast, die Felder abgemäht. Hajo wandte sich ab und steuerte die dösenden Pferde im Schatten der Ebereschen an.
    Pferde haben, wie Hajo schon andeutete, einen gemächlichen Tageslauf, wenn man sie lässt. Morgens süßes Gras, mittags dösen, nachmittags saure Gräser, dann dösen und sich auch zum Schlummern hinlegen, den Kopf auf die Schnauze gestützt, dann weiden bis tief in die Nacht, im Morgengrauen hinlegen und Tiefschlaf auf der Seite. Wenn alle lagen, blieb immer als Letzter ein Döskopf stehen, um Wache zu halten.
    Die drei Pferde unter den Bäumen hatten uns längst bemerkt. Sascha stand mit hängender und leicht zitternder Unterlippe am weitesten draußen in der Sonne. Er war zwar der Älteste, aber auch der Kleinste. Den höchsten Rang hatte offenbar Hexe, denn sie hatte den besten Platz im tiefen kühlen Schatten am Stamm der Bäume. Prinz hatte ihr den Kopf zugekehrt. Seine Hinterhand stand in der Sonne. Alle drei schilderten. So nannte man die Ruhestellung der Hinterbeine mit einseitig gekippter Hüfte, geknicktem Bein und auf die Spitze gestelltem Huf. Die Vorderbeine konnten Pferde so feststellen, dass sie keine Muskelkraft zum Stehen brauchten, bei den Hinterbeinen ging das nicht, deshalb entlasteten sie sie abwechselnd.
    Hexe hob als Erste den Kopf. Die kleinrahmige Tra kehnerstute hatte einen giftigen Zug um die Nüstern. Sa scha zog nur die Unterlippe im Barte seiner Schnurhaare an. Arabern rasierte man gern das Maul, um das dreieckige Kinn-Maul-Nüstern-Profil zu reinigen, aber der Isländer stand da in seiner ganzen pelzig gedrungenen Pracht, das Entzücken aller Kinder und eine stete Versuchung für Erwachsene, ihm durch die Stirnmähne zu wuscheln. Unnötig zu sagen, dass wir keines der Pfer de anfassten. Hajo schnalzte nur. Prinz drehte die Ohren rückwärts. Die Sonne schien auf seine gewaltigen Hinterbacken mit der ausgeprägten Reitrinne, jener Kerbe zwischen starken Schenkelmuskeln vielgerittener Pferde. Er gab aber die Ruhehaltung nicht auf.
    »Sehen Sie das«, sagte Hajo, »sehen Sie diese Flecken?« Er deutete auf ein paar im Sonnenlicht sichtbare dunklere Punkte rechts und links des Schweifs in der schwarz glänzenden, unterschichtig aber rötlichen Decke von Prinz. Es sah aus, als sei das Fell punktweise bis in subkutane Tiefen aufgewühlt.
    »Vorhin habe ich mir das genauer angeschaut«, erklär te Hajo. »Es sind kleine, oberflächliche Verletzungen, klei ne Quetschungen von einem harten Gegenstand. Sehen Sie die Abstände? Es sieht aus, als habe ihm jemand eine Mistgabel in den Hintern

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