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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zügelloser Verbitterung, die er rasch mit seinem indiskreten Lächeln zudeckte.
    »Was wollen Sie … was willst du denn hier, eh?«
    »Mein Auto ist kaputt.«
    Er blickte an mir entlang. »Ah so.« Doch zog er den Hund zurück und ließ mich in den Stall. Die beiden alten Stuten hoben die Köpfe. Der Hengst schnaubte über die Boxentür. Hajo ließ den Hund los, der mich nun mit erhobener Schnauze umkreiste. Die Tür zu Hamsuns Box stand offen. Die Stute mummelte geistig abwesend im Heu.
    »Was macht Hamsun?«
    Hajo wischte sich die Hände am Jeansgesäß ab und schaute sich nach der Box um. Das weiße Hemd hatte er gegen ein grünliches T-Shirt vertauscht. »Das Euter ist voll. Es kann nicht mehr lange dauern. Sie ist nur ein bisschen nervös. Es ist ihr Erstling.«
    »Ist sie nicht überhaupt ein bisschen spät dran? Es ist schon Juni.«
    »Juni ist noch okay. Wir hatten zwei lange Winter. Rosse und Tragzeit hängen von der Sonneneinstrahlung ab. Es haben heuer alle spät abgefohlt. Hamsun ist die Letzte. Das Fohlen ist halt nicht sonderlich vital.«
    »Dann sollte ich wohl schleunigst wieder verschwinden. Sonst störe ich nur.«
    Er hätte mir beistimmen müssen, doch wusste er sichtlich nicht, was er sagen sollte. Hamsun stand in der Box, den schönen hellgrauen Kopf ins Heu gesenkt, die Ohren nach allen Richtungen rätselnd. Das Euter war nicht nur prall gefüllt, die Milch tropfte sogar schon heraus und lief ihr die Innenseiten der Schenkel hinab. Hin und wieder zog sie angewidert ein Hinterbein an.
    »Also, dann gehe ich mal. Viel Glück mit dem Fohlen.«
    »Ich kann dich nicht heimfahren«, sagte Hajo, »leider.«
    »Ist schon klar.«
    »Ich habe nämlich keinen Führerschein.«
    »Ist nicht nötig, wirklich nicht. Ich gehe zu Fuß. Es sind nur ein paar Kilometer.«
    »Aber du kannst mein Fahrrad haben, wenn du willst.«
    Eine überraschend angenehme Aussicht. »Wenn das ginge.«
    »Aber sicher.« Er schien erleichtert über die Lösung, die zielgerichtetes Handeln erforderte, zog einen Schlüsselbund aus der Hose und setzte sich in Richtung Stallausgang in Bewegung.
    In diesem Moment schoss Hamsun das Fruchtwasser unterm Schweif hervor. Hajo blieb stehen. Es war, als versuchte er einen Alptraum abzuschütteln, in dem er sich noch befand.
    »Sag mir nur, wo dein Fahrrad steht«, sprang ich ihm bei. »Ich werde es schon finden. Bleib du bei der Stute. Ich bringe den Schlüssel zurück.«
    Er ließ den Schlüssel in meine Hand gleiten und wandte sich der Box zu. »Das Fahrrad steht im Haupthaus die Treppe runter links. Das blaue.«
    Hamsun warf sich zu Boden.
    Hajo betrat die Box und hatte mich in diesem Augenblick vergessen. Dickbäuchig ließ sich Hamsun auf die Seite fallen und stöhnte. Der Kopf lag im Stroh mit klei nen eingesunkenen Augen. Die streifige Kiefermuskula tur zeigte, wie sehr sie während der Wehe die Zähne zusammenbiss. Ihr Atem ging zitternd. Ich blieb. Wenn sich die Stute die Austreibung nicht verkniffen hatte, bis ich weg war, dann störte ich jetzt auch nicht mehr. Es war ein Gerücht, dass Stuten sich von der Herde entfernten, um allein zu gebären. Sie mussten sich nur sicher fühlen. Hamsun war offensichtlich ein Pferd, das die Gesellschaft von Menschen und die Gegenwart alter Stuten und des Hengstes schätzte. Es mochte sie sogar beruhigen, denn irgendwie quälte sie sich mächtig und verstand nicht so recht, warum. Als sie Anstalten machte, sich nach den ersten Wehen wieder zu erheben, drückte Hajo ihren Kopf zurück ins Stroh. Dabei wurde er meiner wieder gewahr.
    »Ich fürchte, das Fohlen liegt nicht richtig.«
    »Soll ich den Tierarzt rufen? Ich habe ein Handy hier.«
    Er belächelte meine Sorge. Offenbar konnte der Tierarzt nichts tun, was nicht auch Hajo konnte. Ohne Zweifel brauchte er dabei auch meine Hilfe nicht. Dennoch legte ich Handtasche und Schlüssel vor der Schnauze des Belgischen Schäferhundes ab. Hajo überließ mir generös den Platz am Kopf der Stute. Zwar musste man eine Stu te nicht am Aufstehen hindern, aber so wie Hamsun lag, lag sie gerade sehr gut, und die Seitenlage war die leichtere. Im Stehen hätte sie das Fohlen aus dem Bauch heraus durchs Becken pressen müssen.
    »Du wirst dein Kleid versauen«, sagte Hajo vom Hinterteil der Stute her. Ich zippelte am Saum, zurückgeworfen auf die Lächerlichkeit kurzer Kleidchen, während Hamsun stöhnte und vor Schmerzen mit den Hinterbeinen schlug. Hajo wich behände aus. Sie knirschte mit den Zähnen. Auf den

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