Pferdekuss
großes Vokabular …«
Hajo hielt es nicht mehr neben mir auf dem Strohballen. Er trat an Hamsuns Kopf, um die Stute festzuhalten, damit sie dem Fohlen, das heftig suchte, nicht wieder ausweichen konnte.
»Lesen kann ich ja manches«, sagte er. »Ich weiß, was auf den Klotüren steht, zum Beispiel. Manche Worte erkenne ich, aber ich könnte sie nicht schreiben.«
Er gab dem Fohlen einen kleinen Schubs unter die Hinterbeine der Stute. Ein Mensch kann eben nicht wi derstehen, der Kreatur zu zeigen, wo es langgeht. Auch ich konnte es nicht.
»Ich vermute, es ist nur eine Frage der geeigneten Me thode, dir das Schreiben beizubringen. Wenn du willst …«
So unvermutet direkt sprang mich quer durch die Box seine Hoffnung an, dass ich das unbedachte Angebot nicht vollendete.
Ich hatte ihn wohl im falschen Moment erwischt, als ich vorhin aus der Nacht auftauchte. Ich hatte ihn nicht nur aus finsteren Gedanken über das Missgeschick seiner Existenz, sondern auch aus glühenden Wunschträumen geschreckt. Ich hatte auf Gallions Tisch Buchstaben ge malt, um ihn vor Spott zu schützen, statt über ihn zu lachen, wie Dörfler über das Missgeschick ihrer Nachbarn lachten. Seitdem fantasierte er einen neuen Ausweg, träumte von Hilfe, träumte von einer Frau, die ihn erlöste aus der Einsamkeit des Bereiters zwischen seinen Pferden und der des Analphabeten in seiner lebenslangen Flucht.
An sich war ich keinem Abenteuer abgeneigt. Aber dieses hatte eine schwer abzuschätzende Dimension. Der General hatte mich davor gewarnt, seiner Tochter den Beschäler abspenstig zu machen. Außerdem konnte ich die Gefühle eines Mannes wie Hajo in keiner Weise absehen, abschätzen oder gar steuern. Seine soziale Prägung und Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit mochten sich fatal an seiner tierischen Umgebung orientieren, nämlich an dem testosteronstrotzenden, eifersüchtigen und besitzergreifenden Gerangel von Hengsten um Stuten.
Das hungrige Stutfohlen wechselte schmatzend von einer Zitze zur nächsten, während Hamsun an Hajos Hand stillstand. Das Fohlen war schwarz, ein Rappschimmel, der mit den Jahren weiß werden würde wie seine Mutter.
»Und wie soll es denn nun heißen?«, sagte Hajo.
»Muss ich mich an das H der Stute halten? Dann Haifa.«
»Okay.« Hajo ließ die Stute los. Der Belgische Schäferhund sprang auf, als wir in den Stallgang traten. Hajo hob seinen Schlüssel und meine Handtasche vom Boden auf und gab mir meinen Teil. So unangenehm nahe ka men mir dabei die Gletscheraugen und die aus allen Poren dampfende Männlichkeit, dass ich zurückwich. Er hielt mir das Stalltor auf und lächelte ungemein undelikat. Der Hund musste drinnen bleiben. Hajo schob die Tür vor seiner sehnsüchtig in die Nacht schnüffelnden Nase zu und schloss ab. Sterne glitzerten. Der Mond rollte über die Schwäbische Alb. Fledermäuse flatterten. Immer noch jubelte die Nachtigall.
»Warum klappt es eigentlich mit dir und Siglinde nicht?«
Hajo schnalzte mit der Zunge. »Sie gefällt mir nicht.«
»Warum denn nicht? Sie ist schön und temperamentvoll. Und sie ist die Herrin eines Gestüts.«
»Was kümmert dich das, eh? Natürlich bin ich ihr dankbar. Sie hat mir hier Möglichkeiten gegeben, die ich nirgendwo hatte. Aber zum Sklaven mache ich mich des halb nicht.«
»Was hast du denn für Vorstellungen von der Ehe? Du wärst unkündbar und Herr eines Gestüts. Dafür müsstest du sie nur ein bisschen vögeln. Das würdest du doch wohl hinkriegen.«
Hajo blieb stehen. »Es würde nichts nützen. Siglinde kann keine Kinder kriegen.«
Ich schluckte. »Woher weißt du das?«
»Es ist offensichtlich. Ein Jahr lang hat sie es mit die sem Bongart versucht. An ihm kann es nicht gelegen haben, er hat … er hatte eine Tochter.«
»Und eine güste Stute willst auch du nicht haben.«
Hajo schnalzte kopfschüttelnd und setzte sich wieder in Marsch. »Was ich will, spielt keine Rolle. Hör endlich auf, dich in unsere Angelegenheiten zu mischen.«
»Warum denn?«
»Du machst Siglinde und den Alten nervös. Merkst du das nicht? Ich weiß ja nicht, was damals vorgefallen ist, aber sie haben Angst vor dir.«
»Ach was! Siglinde und der General haben keine Angst. Aber du. Du bist doch vorbestraft. Sonst hättest du mir heute Mittag auf der Weide kaum so anschaulich die Qualen des Gefängnisses geschildert. Es war im Knast, wo einer versucht hat, dir das Schreiben beizubringen. Stimmt’s?«
»Und wem willst du es zuerst
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