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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Backenmuskeln erschienen Streifen. Hajo zog die Brauen zusammen. Allmählich hätten die Vörderhufe des Fohlens erscheinen müssen.
    »Es will nicht«, bemerkte er und schob die Schweifhaare beiseite.
    Hamsun hob den Kopf, Hajo auch, und ich warf mich dem Pferd auf den Hals. Ohne Zaudern schob Hajo Hand und Arm bis weit über den Ellbogen ins Pferd hinein. Hamsun stieß Töne aus, die menschlicher waren als menschlich. Sie wusste nicht, ob sie sich gegen den Zugriff wehren sollte oder gegen die eigenen Schmerzen. Auf der anderen Seite des hochgewölbten Bauchs ächzte Hajo. Tief im Stutenleib angelte er nach den Vorderhufen des Fohlens, um sie in den Geburtsgang zu dirigieren.
    »Pressen! Pressen!«, stöhnte er.
    Hamsun schlug mit den Hinterbeinen. Ich warf mich auf ihren Leib. Hajo fiel rückwärts gegen die Boxenwand. Sein linker Arm schleimte grünlich-bläulich-rötlich. Aber unter dem Schwanz der Stute spickten jetzt die Vorderhüfchen hervor, die zur Schonung des Geburtsgangs gummiartig gepolstert waren. Na bitte. Hajo hockte an der Boxenwand und keuchte. Hamsun stöhnte. Ein zweiter Schub, und Kopf und Schulter rutschten heraus. Hajo sprang auf und schob mich weg von der Stute, die flugs den Rest des Fohlens auswarf und im nächsten Moment aufstand. Die Nabelschnur riss.
    Da lag im Stroh ein nasses schwarzes Bündel, halb verhüllt von einer blau-grün schillernden festen Haut. Der Kopf des Kleinen war unendlich lang und edel, die Ohren klebten im Genick. Hamsun drehte sich um und blähte die Nüstern, wich sogar zurück vor dem schwärzlichen Haufen im Stroh, der so gar nicht nach Pferd aussah.
    Hajo sank auf die Knie. Nie habe ich einen Mann rückhaltloser lächeln sehen. Was für finstere Gedanken er auch bewegt haben mochte, als er zwei Stunden auf dem Strohballen an der Boxentür saß und wartete, jetzt schimmerte seine Seele rein und sauber, als er das Füllen, das noch völlig benommen war, mit Stroh abrieb. Stuten halfen ihren Fohlen nicht aus der Embryonalhülle, aber dem Menschen war es unmöglich, nicht zärtlich zu werden. Gemeinsam taten wir am Fohlen, was unnötig war, aber dringend notwendig, um nicht an unserer eigenen Rührung zu ersticken. Es erregte schließlich Hamsuns Neugierde. Sie näherte sich, schnoberte und begann, ihre Ausgeburt zu beknabbern und zu belecken.
    Hajo lachte leise und kehlig, wie Stuten tönen, wenn sie Kontakt aufnehmen, und zu meinem Schrecken gab der Winzling plötzlich ein Wiehern von sich. Hamsun antwortete mit zärtlichen Lauten.
    Hajo ging sich waschen. Dann warteten wir Schulter an Schulter, Knie an Knie auf dem Strohballen an der Boxentür. Er schwieg, aber ich hörte seine Gedanken rumpeln. Ich dachte: Du wärst verrückt, wenn du ihn jetzt fragen würdest, ob er an Emmas Bremse war. Mir wurde kalt. Gänsehaut flutete meine Arme und Beine. Hajos Blick kitzelte über die gestellten Härchen. Er stand auf, ging weg, kam zurück, warf mir einen braunen Baumwollsweater zu und setzte sich wieder. Ich kämpfte mich in den Pullover, bemüht, Hajo nicht den Ellbogen ins Gesicht zu hauen. Wärme berauschte mich, zusammen mit dem Geruch nach Heu und Pferd im Gewebe.
    Das Fohlen machte einen ersten Versuch, auf die viel zu langen Beine zu kommen. Weil Kopf und Schulter schwerer waren, lupfte es dem Tierchen die knickerigen Hinterbeine vom Boden, und es stürzte kopfüber ins Stroh. In Hajos Mundwinkeln zuckte ein kleines Lächeln.
    Als Hamsun sich erneut hinlegte, wurde mir klar, dass wir auf die Nachgeburt warteten, ein blutiges, glibbriges Ungetüm, das Pferde höchst selten selber auffraßen. Hajo kam mit Schubkarre und Mistgabel. Der Hund im Stallgang witterte aufgeregt und verfressen. Das Fohlen unternahm den zweiten Versuch aufzustehen und stürzte. Hajo brachte die Schubkarre fort und setzte sich dann wieder. Hamsun wirkte desinteressiert, auch wenn das Euter stopfte.
    »Ich hatte mal eine Stute«, sagte Hajo unvermittelt, »die hat ihr Fohlen zu früh bekommen. Die Milch war noch nicht da. Sie hat ihr Fohlen nicht anerkannt, ist sogar im Stall draufgetreten. Ich habe dem Fohlen die Flasche gegeben, aber es starb nach ein paar Tagen, weil ihm die Antikörper fehlten, die es mit der ersten Stutenmilch aufnimmt. Inzwischen hatte aber die Stute Milch. Sie ließ es nicht mehr zu, dass ich das tote Fohlen aus der Box holte. Sie verteidigte es wie wild.« Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu. »Das hier ist ein Stutfohlen. Es wird kein erstklassiges Pferd, weil es

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