Pferdesommer mit Lara
Dusche haben«, sagte Arne, wischte sich Stirn und Nase mit dem Handrücken ab und verteilte den Schmutz dadurch regelmäßig im Gesicht.
»Es würde schon reichen, wenn wir den Bach so stauen könnten, dass ein kleines Becken entsteht.« Ich kauerte mich ins seichte Wasser, spülte meine Arme ab, schöpfte mit beiden Händen Wasser und wusch mir das Gesicht, so gut es ging.
»Ja, das machen wir nächstes Jahr. Im Moment gibt es so viel anderes zu tun, das wichtiger ist. Für den Herbst brauchen wir eine neue Koppel, da müssen Zäune gezogen werden. Und die Schutzhütte sollte vor dem Winter ausgebessert werden. Außerdem ist da auch noch die Schule, die mache ich leider nicht so mit links.«
Er schnitt eine Grimasse. Ein Kranz von Fältchen bildete sich um seine braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln. Die Haut auf seinem Nasenrücken schälte sich schon wieder. Erdkrümel hingen in seinen hellen Augenbrauen.
Ich wandte den Blick ab, damit er nicht dachte, ich würde ihn anstarren.
»Bürsten wir noch rasch ihr Fell?«, fragte er. »Es muss ja nicht so gründlich sein, Hauptsache, der schlimmste Schmutz ist ab. Und dann gibt’s Ham-Ham.«
Ham-Ham war unser Codewort für Futter. Jetzt wo das Gras noch üppig wuchs, bekamen die Pferde hauptsächlich Karotten und ihre Haferration, für jedes eine bestimmte Menge, die genau abgemessen wurde.
Heute fütterten wir auch Robin, den Wallach, der Arnes Schwester gehörte, obwohl sie sich am liebsten selbst um ihn kümmerte. Doch wenn Fee, Lara und Jago ihr Futter bekamen, und Elisa war noch nicht da, konnten wir Robin unmöglich warten lassen. Die Gefahr, dass es aus Futterneid zu Beißereien zwischen ihm und den anderen kam, war zu groß.
Wie meistens nach der Arbeit mit den Pferden war ich ziemlich geschafft, als ich nach Hause kam. Dabei sollte ich für die Deutschstunde ein Referat vorbereiten und musste heute Nachmittag wenigstens ein Drittel davon schaffen. Morgen bekam ich Reitunterricht, und vorher wollten Arne und ich das Heu einbringen, das auf den Wiesen zwischen Eulenbrooks Gartenmauer und dem Wald ausgebreitet lag. Ein Bauer aus der Nachbarschaft hatte das Gras vor drei Tagen gemäht. Schon jetzt, im Spätsommer, war es Zeit, an die Wintervorräte für die Pferde zu denken.
Meine Mutter stand am Zaun und schnitt die Ligusterhecke.
»Gut siehst du aus!«, bemerkte sie. Ihre Stimme klang froh. »Schmutzig, aber glücklich. Und ich glaube, du hast zugenommen.«
Ich sah an mir hinunter. Meine Unterschenkel und Fesseln waren noch immer knochig wie Hühnerbeine, meine Arme und Hände dünn und braun wie bei einem Indianermädchen. Doch es stimmte, ich war nicht mehr so mager wie vor ein paar Wochen.
Die Zeit, in der ich kaum einen Bissen hinunterbrachte, ohne zu würgen und hinterher das Gefühl von Steinen im Magen zu haben, war vorbei.
Ich stellte mein Fahrrad ab. »Was gibt’s zum Abendessen?«, fragte ich.
Mama lachte. »Das war die schönste Frage, die ich seit Langem gehört habe«, sagte sie.
2
Nachts träumte ich wieder von Ronja. Sie lag blutüberströmt auf der Straße, das Fahrrad quer über ihren Beinen und ihrem Becken, um sie herum ein Pulk von neugierigen, erschrockenen Menschen.
Ich hatte sie in Wirklichkeit nie so gesehen, aber in meiner Fantasie hatte ich mir die Szene immer wieder ausgemalt. Und natürlich hatte sich damals rasch herumgesprochen, wie alles abgelaufen war, denn unsere Stadt war klein, und die Leute kannten einander.
Ich war erst nach dem Unfall bei Ronja gewesen, doch da war sie bewusstlos und schon weit fort, in einer anderen Welt. Wir hatten eine Nacht lang an ihrem Bett gesessen, meine Eltern und ich, bis sie um drei Uhr morgens zu atmen aufhörte.
Es regnete, als ich aus dem Bett stieg und ans Fenster trat. Das Fensterbrett war nass. Ich stand eine Weile da, spürte die Tropfen auf meiner Haut, die der Wind hereintrieb, und dachte an Ronja und Lara.
Ronja hatte sich immer ein eigenes Pferd gewünscht. Meine Zwillingsschwester wollte schon reiten lernen und ein eigenes Pferd haben, als wir noch nicht einmal zehn Jahre alt waren. Jetzt hatte sich ihr größter Wunsch erfüllt, zwei Jahre zu spät. Ob es sie noch irgendwo gab, ob sie wusste, dass ich eine Stute hatte, die Lara hieß? Ronja wäre sicher ein perfektes Pferdemädchen gewesen.
Mit mir war es anders. Ich glaubte, dass niemals eine gute Reiterin aus mir werden würde; und tief in mir saß ein nagender Zweifel, ob ich den Problemen, die ein krankes
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