Pflicht und Verlangen
würde
wahrscheinlich auch für Charlotte unangenehme Konsequenzen
haben. Gwendolyn, die ihren Verdacht durch sein Schweigen bestätigt
sah, fuhr mit unüberhörbarer Boshaftigkeit in der Stimme
fort: »Ich möchte mich in dieser Situation nicht mehr mit
ihr belasten. Ich nehme an, du teilst diese Einschätzung und
begrüßt ihre Abreise, oder etwa nicht?« Er brachte
es nicht über sich, ihr zu antworten. Stattdessen ließ er
seinen Blick zum Fenster wandern und sagte nach einem beklemmenden
Moment der Stille: »Ich habe noch einiges zu tun, Gwendolyn,
wenn wir so bald wie möglich aufbrechen wollen. Ich muss den
Verwalter instruieren, finanzielle Vorkehrungen treffen und Walter
informieren, der die Stiftungsgeschäfte vor Ort übernehmen
muss. Unsere Abwesenheit wird, wie die Dinge liegen, von längerer
Dauer sein. Deshalb ist eine sorgfältige Vorbereitung vonnöten.
Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Cyril mit der Vorbereitung
unserer Abreise, was den Haushalt betrifft, betrauen würdest.«
Dass
seine Frau die Dienstboten bei der komplexen Aufgabe, den Haushalt in
den Wartestand zu versetzen, anleiten könnte, zog er nicht
einmal für einen Moment in Betracht. Er kannte Gwendolyns
Trägheit in diesen Dingen zur Genüge. Seufzend erhob er
sich, wünschte seiner Gattin, die ihn verärgert und
kritisch musterte, einen guten Morgen und verließ den Raum, um
sein Arbeitszimmer aufzusuchen.
******
Für
die nächsten Stunden vergrub er sich in seinem Arbeitszimmer,
das seine Frau nie zu betreten pflegte und erwog die neue,
schockierende Sachlage immer wieder. Endlich gelangte er zu einer
Entscheidung.
Er
war, das war leider eine unumstößliche Tatsache,
gezwungen, die Ehe mit Gwendolyn aufrechtzuerhalten, so hart ihn das
auch ankam. Sie hatte das Recht auf ihrer Seite. Es war auch dringend
notwendig, dass er ihr genügend Aufmerksamkeit zukommen ließ,
alles andere würde Charlotte weiter kompromittieren. Ohnehin
bestand schon jetzt die Gefahr, dass Gwendolyn Charlotte als
unmoralische Person ins Gerede brachte. Diskretion war wirklich nicht
die größte Tugend seiner Frau. Zumal sie ja nun
fatalerweise die Wahrheit erahnte, obwohl sie doch bisher der Ansicht
gewesen war, dass ihr Gast eher wenig Anziehung auf die Männerwelt
ausüben könnte. Eine der vielen eklatanten
Fehleinschätzungen seiner Frau, dachte er nicht ohne Ironie.
Dass sie etwas ahnte, war hingegen allein seine Schuld. Dabei hatte
Charlotte sich nichts zuschulden kommen lassen und sich in jeder
Hinsicht einwandfrei verhalten – obwohl sie ihn, wie er nun
wusste, ebenfalls liebte. Wie musste ihr zumute gewesen sein, als sie
auch noch von der Schwangerschaft erfuhr? Allein der Gedanke daran
bereitete ihm neue Schmerzen. Trotzdem war es nun unbedingt
notwendig, dass er seine eigene Verzweiflung in sich begrub und
überlegt handelte.
Er
atmete tief durch, zog dann aus seinem Schreibtisch diverse
Unterlagen und Schreibzeug hervor und läutete nach Cyril. Der
Tag würde angefüllt sein mit den notwendigen Besprechungen
mit seinem Gutsverwalter sowie dem Verfassen ausführlicher
schriftlicher Anweisungen und Vollmachten. Es tat ihm leid, Dullham
Manor jetzt in der Frühlingszeit verlassen zu müssen; in
der Zeit der Aussaat, in der er eigentlich gebraucht wurde bei den
vielen Neuerungen, die er angestoßen hatte und mit Hingabe
verfolgte. Aber er hatte keine Wahl. Alles andere würde ihm als
Missachtung seiner Frau ausgelegt werden und zum üblichen
gehässigen Getuschel in den Kreisen der Gesellschaft führen.
Das musste er schon um Charlottes willen vermeiden.
Er
gedachte, mit Gwendolyn schon am übernächsten Tag
abzureisen, doch vorher stand ihm noch ein schwieriges Gespräch
bevor. Er musste Walter aufsuchen, der mit seinem feinen Gespür
und seiner beträchtlichen Menschenkenntnis wohl kaum über
das Vorgefallene zu täuschen war. Sicher würde er ahnen,
was Charlotte zu ihrer überstürzten Abreise bewogen hatte.
Was würde er dazu sagen? John konnte nur hoffen, dass er ihm
seine Freundschaft nicht entzog.
Schließlich
hatte er noch eine weitere und die eigentlich wichtigste Entscheidung
getroffen. Er würde wieder ein Kommando übernehmen, sobald
das Kind geboren war. Die Vorstellung, weiterhin in dieser Ehe
gefangen zu sein und das hier auf Dullham Manor, wo ihn alles an
Charlotte erinnerte und er wusste, dass sie unweit von ihm lebte und
auch litt – denn dass es so war, daran gab es keinen Zweifel –
brachte ihn fast um den Verstand.
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