Pflicht und Verlangen
seinen Cousin Trevor Norrington,
einen etwas feisten Gentleman von ungefähr dreißig Jahren
mit bereits recht schütterem Haupthaar, der ebenfalls zu Besuch
weilte: »Hast du eigentlich auch eine Einladung von Terency
erhalten? Er plant eine Fuchsjagd am Wochenende in zwei Wochen.«
Norrington,
der mit einem Glas in der Hand müßig das Geschehen
verfolgte, nickte zustimmend: »Ja, es ist schon die dritte, die
er veranstaltet, kann einfach nicht genug davon bekommen, der alte
Knabe.«
» Wirklich?«,
Percy zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Schon die dritte? Und
warum habe ich bisher keine Einladung erhalten? Ich werde dem
Burschen umgehend schreiben, dass er mich gefälligst einzuladen
hat. Was denkt er sich? Ich habe gar nicht gewusst, dass er wieder im
Lande ist. Scheint mir etwas forsch, nach dem, was vorgefallen ist.«
In
diesem Augenblick verschoss John für alle überraschend eine
sicher geglaubte Kugel und machte Platz für seinen Spielpartner.
Er gesellte sich an die Seite Norringtons und fragte betont
beiläufig: »Terency? Dieser Gentleman ist mir vor einiger
Zeit auf einem Ball begegnet und aufgefallen. Er schien mir recht
selbstbewusst zu sein.«
Norrington
lachte spöttisch auf. »Selbstbewusst ist stark
untertrieben, würde ich sagen. Terency nimmt sich, was ihm
gefällt und das ohne irgendeine Rücksicht. Ein unangenehmer
Bursche, wenn Sie mich fragen, Mylord.« Er konnte nicht wissen,
dass sein Gesprächspartner innerlich vor Anspannung bebte.
Terency war es, der John beschäftigte, seit er den Brief gelesen
hatte, der Charlotte so unerklärlich geängstigt hatte.
Bisher war er dem Grund ihrer offensichtlichen Furcht nicht auf die
Spur gekommen, da er keine Möglichkeit gefunden hatte, sich
unauffällig nach Terency zu erkundigen. Das hätte nur
Misstrauen hervorgerufen. Schließlich hatte er es, wenn auch
mit sehr unguten Gefühlen, aufgegeben, sich weiter darüber
den Kopf zu zerbrechen. Doch jetzt bot sich ihm endlich die ersehnte
Gelegenheit, mehr über diesen Mann zu erfahren.
» Also
wirklich, Norrington, du solltest nicht so leichtfertig
Familiengeheimnisse ausplaudern«, meinte Percy tadelnd, aber
nicht wirklich ernsthaft, während er zum wiederholten Mal seine
geplante Schussbahn überprüfte.
» Familiengeheimnisse?
Das klingt aber sehr interessant. Was mag es denn von Mr Terency so
Geheimes zu wissen geben, außer, dass er wohl längere Zeit
im Ausland weilte?«, warf John in plaudernd leichtem Tonfall
ein, innerlich aber angespannt auf eine ausführliche Antwort
lauernd.
» Tja,
ich weiß nicht, ob man das wieder aufwärmen sollte, aber
Sie gehören ja schließlich zur Familie, Mylord, nicht
wahr?«, erwiderte Norrington sichtlich beglückt, endlich
ein Gesprächsthema gefunden zu haben, das dem bisher eher
langweiligen Abend eine interessante Wendung zu geben versprach.
»Sehen Sie, der lange Auslandsaufenthalt unseres Cousins war
alles andere als freiwillig. Er musste das Land verlassen auf Geheiß
des Lordrichters, weil er sonst vielleicht mit dem Henker nähere
Bekanntschaft geschlossen hätte. Allerdings weiß man
nichts Genaues darüber, es gab nur Gerüchte, wenn auch
glaubwürdige Gerüchte.«
» Was
um Himmels willen sollte denn den Angehörigen eines Vertreters
des Hochadels in eine solch beklagenswerte Situation bringen?«,
erkundigte sich John aufs Höchste alarmiert, was seine
Gesprächspartner bis auf seinen hinzugetretenen Bruder
allerdings nicht bemerkten. Dieser musterte John mit Interesse.
Selbstverständlich war ihm aufgefallen, dass der ungezwungene
Tonfall seines Bruders nur geheuchelt war und sich ein ungeduldiges
Verlangen, Näheres über diesen Gentleman zu erfahren,
dahinter verbarg.
» Selbstverständlich
gilt, wie du selbst weißt, für einen Peer nur Hochverrat
als tödliches Vergehen, ansonsten sind sie als immun zu
betrachten, aber für die Angehörigen des Titelträgers
gilt dies eigentlich nicht. Bei der Stellung Terencys müsste
allerdings ein Kapitalverbrechen vorliegen und selbst dann würde
es schwierig sein, den Betreffenden zur Rechenschaft zu ziehen«,
warf David deshalb sachkundig in das Gespräch ein. »Dazu
gehören – ich darf aufzählen – Mord,
Hochverrat, Diebstahl in besonders schweren Fällen, Verbrechen
der Unsittlichkeit, wenn das Opfer ernsthaft zu Schaden kommt …«
Er wurde in seiner Aufzählung von Percy Wellesley unterbrochen:
»Du meine Güte, hören Sie auf, Mann! Da wird es uns
braven Bürgern ja angst und
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