Pflicht und Verlangen
einem unvoreingenommenen Leser des Schreibens deutlich werden
konnte. So war es auch wenig verwunderlich, dass sich auf Lady
Millfords Antlitz ein zufriedenes Lächeln ausbreitete, nachdem
sie den Brief von der Bettdecke, auf die ihn Charlotte fassungslos
hatte sinken lassen, aufgenommen und gelesen hatte, natürlich
ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Es stand für sie außer
Frage, dass Charlottes Aufgabe nur im Gehorsam gegenüber ihren
Wünschen und Plänen bestand. Lady Millford las aus diesen
unschuldigen und doch mit solcher Gerissenheit abgefassten Zeilen nur
das, was sie ohnehin glauben wollte, nämlich, dass Terency ein
ernsthaftes Interesse an ihrer Nichte hatte. Dass dieser mit dem
Loblied auf sie selbst etwas ganz anderes meinte, ahnte sie nicht.
Charlotte
hatte Mühe, den neuerlichen Schock zu verdauen. Auf Terencys
eigenem Grund und Boden würde sie noch weniger Möglichkeiten
als auf Millford Hall finden, sich wirksam vor seinen Übergriffen
zu schützen. Zudem erwartete er, dass sie an der Fuchsjagd
teilnahm. Sie war zwar in der Lage, mit einem braven Reittier auf
einem angelegten Reiterpfad zurechtzukommen, doch es war allgemein
bekannt, dass eine Fuchsjagd, die querfeldein durch unwegsames
Gelände ging, eines erfahrenen und kräftigen Reiters
bedurfte. Wie sollte sie einen solchen Ritt nur ohne Sturz
überstehen? Hatte sie ihm etwa in einem unbedachten Augenblick
bei seinem Besuch im alten Jahr von ihren geringen Kenntnissen in
diesem Bereich erzählt oder hatte er es anderweitig erfahren?
Nach aller Erfahrung mit ihm konnte sie sich kaum vorstellen, dass er
dieses absurde Ansinnen ohne Hintergedanken äußerte.
Nachdem
er jüngst eine Niederlage hatte einstecken müssen, suchte
er wohl jetzt umso mehr nach einer Möglichkeit, sie zu demütigen
und zu verletzen. Es ging ihm vermutlich nicht mehr nur darum, ihr
als Frau Gewalt anzutun, nun plante er offensichtlich, ihr Leben aufs
Spiel zu setzen und ihre Tante war seine willige Helferin, ohne es zu
ahnen oder wahrhaben zu wollen. Wie kam sie nur aus dieser
vertrackten Falle heraus? Lady Millford, die ihren gequälten und
verängstigten Gesichtsausdruck bemerkt hatte, missinterpretierte
diesen völlig und herrschte sie an: »Genügt dir
dieses Schreiben immer noch nicht? Mr Terency ist ehrlich
interessiert an dir. Du hast unerhörtes Glück, dass er sich
überhaupt deiner erinnert. Ich erwarte ausdrücklich von
dir, dass du dein Bestes gibst auf dieser Jagd. Sie wird über
deine Zukunft entscheiden!«
» Und
über die Ihre, Tante!«, erwiderte Charlotte kalt.
» Ich
verbitte mir solche Frechheiten! Du wagst es noch …«,
Lady Millford fehlten die Worte vor Empörung. Dieses
halsstarrige Ding war unerträglich und eine echte Prüfung
für sie. Blind für die Vorteile, die alle aus der
Verbindung des Hauses Millford mit Mr Terency erwachsen konnten,
wagte ihre Nichte es, Terencys Avancen weiterhin beharrlich
abzulehnen. Das tat sie natürlich nur, um sie zu ärgern,
wie alles andere bisher auch. Hatte deren Aufsässigkeit, das
lange Verweilen bei den Battingfields, bedingt durch ihre lächerliche
angebliche »Arbeit«, und nun diese lästige Krankheit
ihre Geduld schon aufs Äußerste strapaziert, so brachte
der offensichtliche Unwillen der undankbaren kleinen Nutznießerin
ihrer Bemühungen das Fass nun endgültig zum Überlaufen.
Zu allem Überfluss begann das unbotmäßige Geschöpf
jetzt auch noch in einer Vehemenz, die sie zur Weißglut
brachte, Einwendungen zu machen, sie sei als mäßige
Reiterin einer derartigen sportlichen Anforderung keinesfalls
gewachsen. Als ob das eine Rolle spielen würde! Wenn Mr Terency
beliebte, sie in die Kunst der Jagd einzuführen, hatte ihre
Nichte dies mit der gebotenen dankbaren Bescheidenheit und Freude
anzunehmen! Das war doch das Mindeste, was sie als leidgeprüfte
Tante erwarten konnte nach all der Mühsal, die sie mit ihrer
unsäglichen Nichte bereits hatte erdulden müssen!
Lady
Millford lief hochrot an und übergoss Charlotte mit einer
Schimpfkanonade, die erst abbrach, als die tobende Frau keine
weiteren Kraftreserven mehr mobilisieren konnte.
» Und
du wirst dich fügen!«, keuchte sie schließlich nach
Luft ringend. »Es ist mir völlig gleichgültig, ob du
gut reiten kannst oder nicht. Du hast noch zwei Wochen Zeit, dich
vorzubereiten. Dann übe dich im Reiten und stehe jetzt endlich
auf!«
Charlotte,
noch geschwächt durch das überstandene Fieber, konnte der
offenen Feindseligkeit ihrer
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