Pflicht und Verlangen
Tante wenig entgegensetzen. Die harten
Worte, die ohne Gnade auf sie niederprasselten, trafen sie
ungehindert und verletzten sie zutiefst. Ihre ohnehin noch geringen
Kräfte schwanden zusehends und schließlich brach ihr
Widerstand gegen diese wahnwitzige Unternehmung in sich zusammen. Sie
hatte keine Chance! Entweder ergriff sie – krank und ohne einen
Penny in der Tasche – die Flucht oder sie fügte sich und
hoffte darauf, dass ihr ein barmherziger Gott in dieser äußersten
Bedrängnis beistehen würde. Sie nickte ergeben und wischte
die Tränen fort, die ihr, obwohl sie dagegen ankämpfte,
schließlich über die blassen Wangen rannen. Ihre Tante sah
es mit Genugtuung. Sie hatte für dieses Mal gesiegt und sah sich
der Verwirklichung ihrer Pläne ein Stück nähergekommen.
Grußlos
verließ sie das Krankenzimmer und überließ Charlotte
ihrer größer werdenden Verzweiflung. Für diese hieß
es nun aufstehen, sich ankleiden und in den Stall hinuntergehen. Sie
würde einen der Stallknechte bitten, ein Pferd für sie zu
satteln.
Sultan,
Sir Alistairs Reitpferd, stand noch im Stall. Der Wallach wurde schon
seit Monaten nur noch von Dave, dem ersten Reitknecht, bewegt. Ihr
Onkel ritt verständlicherweise schon lange nicht mehr, aber er
hing zärtlich an dem Tier und hatte sich immer gegen einen
Verkauf gesträubt, den Lady Millford wiederholt vorgeschlagen
hatte. Sultan war Sir Alistairs Schilderungen nach ein folgsames Tier
und daher sicher geeignet für die Bemühungen einer leidlich
guten Reiterin, in unwegsamem Gelände zu bestehen. Zwar hatte
Charlotte große Zweifel daran, ob es ihr gelingen würde,
in ihrem durch die Krankheit immer noch geschwächten Zustand in
zwei Wochen noch die notwendige Sattelfestigkeit zu erreichen, um
ihrer schwierigen Aufgabe gewachsen zu sein, aber sie musste es
versuchen. Andernfalls konnte sie sich auch gleich aufgeben.
Kurze
Zeit später stand sie etwas schwankend in den Stallungen und
verlangte danach, dass man ihr Sultan sattelte, was auch gehorsam
ausgeführt wurde. Da trat Dave hinzu und fragte sichtlich
erstaunt, ob sie sich denn zutraue auszureiten, wo sie doch so krank
gewesen sei.
» Eigentlich
nicht, Dave, aber ich muss. Meine Tante verlangt, dass ich mich im
Reiten übe. Ich muss in zwei Wochen an einer Fuchsjagd
teilnehmen. Du weißt sicher, was das bedeutet«, erwiderte
Charlotte müde. Schon jetzt fühlte sie sich zu schwach, um
einer Reitstunde im offenen Gelände gewachsen zu sein, aber es
half nichts. Gegenwehr würde nur neue Beschimpfungen nach sich
ziehen, und diese waren noch weniger zu ertragen. Der alte Reitknecht
erschrak augenscheinlich sehr über diese Auskunft. Er wusste,
dass seine junge Herrin nicht allzu sattelfest war, hatte dies sogar
im Vertrauen dem jungen Herrn, diesem Mr Terency erzählt, den
das augenscheinlich sehr belustigt hatte. Eigentlich hatte dieser ihn
danach gefragt, was ihn etwas verwundert hatte, aber vielleicht
wollte der junge Herr ja mit Miss Millford ausreiten. Wer konnte
schon ahnen, was die Herrschaften bewegte?
» Ich
werde mit Ihnen reiten, Miss. Es ist sonst zu gefährlich, wenn
Sie womöglich vom Pferd fallen, obwohl Sultan ein braves und
ruhiges Tier ist.« Charlotte bedankte sich. Sie hatte gehofft,
dass Dave, der ein ausgezeichneter Reiter war, mit ihr reiten und ihr
in den kommenden Tagen den notwendigen Schliff geben würde, den
sie brauchte, um die Fuchsjagd irgendwie zu überstehen. Ihre
Tage würden nun angefüllt sein mit Reitstunden und den
Besuchen bei ihrem sterbenden Onkel, dessen Zustand nicht erlaubte,
von ihren bedrängenden Sorgen zu erfahren. Sie seufzte tief und
wappnete sich gegenüber dem, was nun auf sie zukam.
Die
Reitstunde wurde, wie erwartet, entmutigend. Dave wurde nicht müde,
ihr die Teilnahme an der Fuchsjagd ausreden zu wollen. Doch Charlotte
ließ sich zu seiner Verärgerung nicht davon abbringen. Sie
bestand sogar darauf, gleich querfeldein zu reiten und auch das
Springen zu üben. Der alte Reitknecht konnte das nicht verstehen
und schüttelte immer wieder unwillig den Kopf über den
jugendlichen Unverstand. Er konnte ja nicht ahnen, dass Charlotte
ernstlich befürchtete, sich bei der bevorstehenden Fuchsjagd
womöglich das Genick zu brechen. Es musste ihr einfach
rechtzeitig gelingen, mehr Sicherheit auf dem Pferd zu erlangen.
Eine
zusätzliche Schwierigkeit beim Ritt durch unwegsames Gelände
war, dass sie als Frau gezwungen war, einen Damensattel zu benutzen,
in dem der Reiterin
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