Pflicht und Verlangen
Frau, die er liebte,
möglicherweise in ernsthafter Gefahr schwebte, war absolut
unerträglich!
Charlotte
musste etwas über Terencys Vergangenheit wissen. Vielleicht
hatte er sich ihr auch schon in schändlicher Absicht genähert,
bevor sie nach Dullham Manor gekommen war. John schluckte den sauren
Geschmack, der ihm auf der Zunge lag, mühsam hinunter. Kein
Wunder, dass sie derartig in Panik geraten war wegen des Briefes
ihrer Tante! Sie hatte einfach dringend seines Schutzes und seiner
Hilfe bedurft in jenem besonderen Moment in der Bibliothek und er
hatte es nicht gewusst. Er erinnerte sich, spürte es noch, als
wäre es eben erst geschehen, wie sie in seinen Armen gelegen,
geweint und vor Angst gezittert hatte. Sie hatte es ihm vielleicht
sogar sagen wollen und er hatte sie daran gehindert. Unglaublicher
Narr, der er war, hatte er stattdessen nichts Besseres zu tun gehabt,
als sie mit seinen Gefühlen zu überfallen. Natürlich
war sie daraufhin davongelaufen! Was hätte sie anderes tun
können? Was für ein unsensibler Idiot war er doch gewesen!
Er hätte sich am liebsten selbst verprügelt, und schlug in
seiner Wut auf sich selbst mit der Faust so heftig gegen die
Steinsäule, dass die Knöchel zu bluten begannen. Aber der
Schmerz verschaffte ihm keine Linderung.
Schlimmer
wog noch, dass er sie später mit seiner Liebe, die ihm in jenem
Augenblick aufrichtig und als das Wichtigste überhaupt
erschienen war, so bedrängt hatte. Dadurch hatte er ihr keine
Wahl gelassen, wie er nun fassungslos erkannte. Charlotte war vor der
erneuten, vielleicht noch schlimmeren gesellschaftlichen Ächtung
zurückgescheut, die damals schon ihre Mutter ereilt hatte und
unter der sie als deren Tochter offenbar mehr litt, als es ihm
bewusst gewesen war. Deshalb hatte sie sich dafür entschieden,
obwohl sie gewiss ahnte, was ihr durch Terency bevorstand, sich
diesem auszuliefern. Die Erkenntnis seiner Mitschuld an dieser
fatalen Entscheidung quälte ihn furchtbar.
Was
hatte sie noch gesagt? Ihr Leben sei wohl schon zerstört …
nun wurde ihm die Bedeutung ihrer Worte in ihrer ganzen Grausamkeit
bewusst. Scham über seine Selbstsucht und die abgrundtiefe Angst
um Charlotte schüttelten ihn regelrecht, als er sich völlig
erschlagen auf eine der Gartenbänke niederließ und
fieberhaft nach einer Lösung suchte. Es stand außer Frage,
dass er versuchen musste, sie aus dieser Zwangslage zu befreien. Wie
konnte er weiterleben, wie konnte er in aller Seelenruhe sein
Kommando übernehmen, wenn er sie in dieser enormen Gefahr
wusste? Irgendwie musste es ihm gelingen, zu dieser Fuchsjagd
eingeladen zu werden, von der er wusste, dass zumindest nach Planung
von Lady Millford auch Charlotte zugegen sein sollte. Alles Weitere
würde sich dann finden. Er konnte es unmöglich zulassen,
dass sie sich – aus welchem unsinnigen Grund auch immer –
diesem Verbrecher auslieferte!
Percy
Wellesley wollte sich doch um eine Einladung bemühen, schoss es
ihm durch den Kopf. Sicher würde es ihm gelingen, diesen zu
überreden, dass die bestimmt erfolgende Einladung auch auf ihn
als Wellesleys Schwager ausgedehnt wurde. Er schritt in höchster
Anspannung im Garten auf und ab, ein gutes Argument für seine
Teilnahme an der Jagd erwägend, dann sammelte er sich und ging
entschlossen zurück ins Herrenzimmer, wo er schon erwartet
wurde.
Kapitel
29
Etwas
mehr als zwei Wochen später bestieg Charlotte zusammen mit ihrer
Tante im frühen Morgengrauen die Kutsche, die sie auf den
Landsitz Terencys in Hampshire bringen würde. Am Abend wollte
man vor Ort sein. Die Fuchsjagd sollte zwei Tage später an einem
Samstag stattfinden. Etliche illustre Gäste seien geladen, hatte
ihr Lady Millford eingeschärft, und sie erwarte von ihrer Nichte
tadelloses Benehmen.
Charlotte
hatte kaum hingehört. Seit ihrer letzten Auseinandersetzung am
Krankenbett sprachen sie kaum noch miteinander. Zwar hatte Lady
Millford sie am Krankenlager des Onkels, dem Charlotte täglich
einige Stunden Gesellschaft geleistet hatte, nicht aus den Augen
gelassen, aber ansonsten hüllte sie sich, bis auf wenige in
schneidendem Tonfall geäußerte Befehle, in Schweigen. Das
war immerhin besser zu ertragen als die verletzenden Angriffe in der
Vergangenheit.
Charlotte
war es in der Zwischenzeit gelungen, ihre reiterlichen Fertigkeiten
erheblich zu verbessern. Hatten sie am Anfang noch ernste Zweifel
geplagt, ob sie die Aufgabe meistern konnte, die für sie
buchstäblich überlebenswichtig war,
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