Pflicht und Verlangen
bevorzugter Aufenthaltsort. Obwohl die Dämmerung
erst eingesetzt hatte, waren im Burghof bereits etliche Fackeln
entzündet worden und auch die Halle erstrahlte in hellem Glanz.
Nachdem jeder Gast persönlich und überschwänglich vom
eifrig umhereilenden Hausherrn in Empfang genommen worden war, wurde
er von den zahlreichen Dienern mit Wein und anderen Getränken
versorgt und konnte sich dem ausgiebigen Gespräch mit den
anderen Gästen hingeben, während das Gepäck in den
Gästezimmern verstaut wurde. John hatte der Begegnung mit
Terency entgegengefiebert. Er brannte darauf, den Mann genauer in
Augenschein zu nehmen, der es wagte, seine Charlotte zu bedrohen. Was
ging nur in einem solchen Menschen vor?, hatte er sich wieder und
wieder gefragt. Gewiss, manchmal hatte er es auf den Schiffen, auf
denen er als junger Offizier gedient hatte, erlebt, dass
Disziplinierungen der Matrosen über das angebrachte und
menschenwürdige Maß hinausgingen. Dabei hatte er verstört
und zutiefst angewidert beobachtet, dass der eine oder andere der
leitenden Offiziere eine eigenartige Genugtuung bei solchen
Bestrafungen zu empfinden schien. Doch was einen Frauenschänder
wie Terency antrieb, gab ihm Rätsel auf. Was waren seine Motive?
Wieso empfand er ein derartig lustvolles Vergnügen daran, sich
an hilflosen, jungen Frauen brutal zu vergreifen? Und wie um Himmels
willen konnte John ihn daran hindern, seiner Charlotte so etwas
Entsetzliches anzutun? John war – angesichts dieser bohrenden
Fragen – ausgesprochen erstaunt, einen Gastgeber vorzufinden,
der mit sich selbst höchst zufrieden seine zahlreichen Gäste
in Empfang nahm und mit geröteten Wangen an jedem Ort
gleichzeitig zu sein schien. Die weltgewandte Zuvorkommenheit in
Person, sollte man meinen. Terency hatte offensichtlich zwei
Gesichter und das hässliche, wahrere von beiden vermochte er gut
zu verbergen.
Suchend
blickte John sich nach Charlotte um, konnte sie aber nirgends
entdecken. Ob sie gar nicht kam? Wie mochte es ihr ergangen sein?
Ging es ihr gut und war sie in Sicherheit? Die Sorge um sie hatte ihn
in den vergangenen zwei Wochen kaum mehr schlafen lassen.
» Suchen
Sie jemanden, Schwager?«, fragte Percy interessiert, der
beobachtet hatte, dass der Captain sich immer wieder vom Gespräch
mit den anderen Gästen abwandte und forschend in die Runde
blickte. Er hatte sich ohnehin etwas gewundert, dass der Baron
unbedingt zu dieser Fuchsjagd gedrängt hatte. Aber schließlich
hatte er ohnehin vorgehabt, daran teilzunehmen und es war
kurzweiliger, zu zweit zu reisen.
» Niemanden
bestimmten«, meinte der Angesprochene daraufhin beiläufig.
»Aber ich möchte auch kein bekanntes Gesicht verpassen.
Schließlich könnte es zu Verstimmungen führen, wenn
man vergäße, seinen Gruß rechtzeitig zu entbieten.
Ich werde mich am besten einmal in der Menge etwas umsehen.
Vermutlich kenne ich doch das eine oder andere Gesicht.«
» Tun
Sie, was Sie für richtig halten, wir sehen uns dann beim
Dinner«, erwiderte der junge Mann und nahm sich noch einen Krug
von dem warmen Met, der gerade herumgetragen wurde.
John
nickte knapp und machte sich auf den Weg durch die Halle. Wenn
Charlotte nicht kam, konnte das sowohl ein gutes wie ein schlechtes
Zeichen sein. Sollte sie hier nicht erscheinen, würde er auf
alle Fälle selbst auf Millford Hall vorbeischauen, auch wenn das
vielleicht seltsam aussah und Charlottes ausdrücklichem Wunsch
widersprach. Er musste einfach Gewissheit über ihr Wohlergehen
haben. In diesem Augenblick sah er, wie Terency der Eingangstür
entgegeneilte, um die nächsten Gäste in Empfang zu nehmen.
Es waren Lady Millford und – sein Herz setzte einen Schlag lang
aus – Charlotte.
Er
hatte nicht gedacht, dass ihn bei ihrem plötzlichen Anblick
seine leidenschaftlichen Empfindungen derart überwältigen
würden. Im Nu überfluteten ihn alle seither so mühsam
unterdrückten Gefühle aufs Neue. Er konnte es kaum
ertragen, sie anzusehen und war doch nicht imstande, den Blick von
ihr abzuwenden. So entging ihm auch nicht, dass Terency sich
Charlotte zuwandte, nachdem er Lady Millford mit einer überaus
tiefen Verbeugung und einem Handkuss begrüßt hatte, die
das offensichtlich schätzte. Charlotte reichte ihm mit
versteinerter Miene die Hand. Er ergriff daraufhin fest, nahezu grob
ihren Arm und zwang sie damit, an seiner Seite die Halle zu betreten.
Sie zog unwillig und wie unter Schmerzen die Brauen zusammen, bemühte
sich aber sichtlich, Haltung zu
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