Pflicht und Verlangen
sonst so offenes, unverstelltes Lächeln fehlte völlig.
Das fiel ihm nun, wo er direkt vor ihr stand, deutlich auf und
verstärkte die Sorgen, die er sich um sie machte.
» Danke,
das werde ich gern tun«, antwortete er, »vielleicht
finden Sie ja die Zeit, mir ausführlich zu berichten, wie es
Ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist. Sicher wird meine Gattin
Interesse daran haben und mich schelten, wenn ich es nicht in
Erfahrung bringe!« Er hoffte inständig, dass sie seine
deutliche Bitte nach einer privaten Unterredung verstanden hatte.
Charlotte
senkte jedoch den Blick und meinte unbestimmt: »Wir werden
sehen, Mylord!«
» Ich
denke, Sie müssen uns jetzt entschuldigen, Lord Battingfield!«,
mischte sich Terency ungeduldig in das Gespräch. »Ich
möchte meine reizende Begleitung noch einigen anderen Gästen
vorstellen. Wir sehen uns dann beim Dinner. Ich kann Sie vielleicht
in der Zwischenzeit der Gesellschaft meiner drei Freunde empfehlen.
Machen Sie sich am besten selbst bekannt!« Er streifte die drei
mit einem raschen imperativen Blick, der John nicht entging und
führte Charlotte dann mit sich. Im Nu umringten ihn Terencys
Freunde und verhinderten, dass er noch einen Blick auf das weitere
Geschehen werfen konnte. Terency war offenbar genauso schlau wie
gefährlich, stellte John erschrocken fest. Es würde nicht
leicht sein, Charlotte aus dieser Zwangslage zu befreien.
Als
er sich etwa zwei Stunden später zusammen mit seinem Schwager im
Bankettsaal zum Dinner einfand, das angesichts der deutlichen
Überzahl der männlichen Gäste offenbar als zwangloses
und feuchtfröhliches Ereignis geplant worden war, sah er zu
seiner Enttäuschung, dass Terency Charlotte bereits in seiner
unmittelbaren Nähe platziert hatte. Neben ihr saß Lady
Millford und unterhielt sich angeregt mit ihrem Tischnachbarn, den er
als einen der drei unangenehmen Freunde des Gastgebers
wiedererkannte. Jedoch waren zumindest in Hörweite noch zwei
Plätze frei, auf die er sogleich forsch zuging. Man tafelte an
zwei langen Tischen und eine beträchtliche Anzahl von Dienern
war damit beschäftigt, die Gäste zu einem freien Platz zu
geleiten. John gegenüber nahm eine ältliche Dame mit zwei
blassen, pferdegesichtigen Töchtern Platz, die schüchtern
zu den beiden Gentlemen herüberblickten. Wie es dem sportlichen
Anlass entsprach, waren etliche der Gentlemen allein angereist. Die
Fuchsjagd war nun mal vor allem ein beliebter Zeitvertreib des
männlichen Teils der Gesellschaft. Dennoch hatten es sich einige
Damen nicht nehmen lassen, ihre Ehemänner zu begleiten und
teilweise auch ihre Töchter in heiratsfähigem Alter
mitgebracht. Tatsächlich war auch ein solches Ereignis eine
willkommene Gelegenheit, nach potenziellen Heiratskandidaten Ausschau
zu halten. Percy Wellesley begann denn auch pflichtbewusst, aber
etwas enttäuscht ob der eher unattraktiven Auswahl des
weiblichen Angebots ihm gegenüber, eine oberflächliche
Konversation mit den jungen Damen und raunte zwischendurch seinem
Schwager zu, dass er beim nächsten Dinner den Platz auszuwählen
gedenke. Man hätte nicht die besten Plätze gefunden. Er
bevorzuge zum Beispiel einen Platz in der Nähe der jungen Dame
an Terencys Seite. Terency, der schlaue Fuchs, habe sich wohl schon
im Vorfeld das interessanteste Beispiel der jungen Weiblichkeit
herausgepickt, der Glückliche.
Auch
John musste zugeben, dass Charlotte in ihrem lavendelfarbenen Kleid
ausgesprochen hübsch aussah, wenn auch deutlich blasser und
schmaler als noch vor ein paar Wochen. Es schnitt ihm ins Herz zu
sehen, dass ihr schon die kurze Zeit, die sie wieder auf Millford
Hall wohnte, augenscheinlich beträchtlich zugesetzt hatte.
Walter hatte recht behalten mit seiner Vermutung, dass es zu
Charlottes Schaden sein musste, wenn sie nach dorthin zurückkehrte.
Es
war für den aufmerksamen Beobachter nicht zu übersehen,
dass sie sich sichtlich unwohl fühlte zwischen ihren beiden
Sitznachbarn. Einige Male zuckte sie ohne erkennbaren Grund zusammen
und versuchte, von Terency abzurücken, wurde aber jedes Mal
umgehend von ihrer Tante, die sonst keinerlei Notiz von ihr nahm, mit
einem eisigen Blick bedacht. John konnte nur vermuten, dass Terency
sie heimlich und unsichtbar für die anderen bedrängte.
Erneut musste er alle Selbstbeherrschung mobilisieren, die er
aufbringen konnte, um nicht sofort einzugreifen.
Inzwischen
waren die Speisen aufgetragen worden und das allgemeine eifrige
Gespräch und Gelächter, das die
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