Pflicht und Verlangen
hinaus,
einschließlich des grausigen Überrests der Operation.
Williams zog sich saubere Kleidung an und ging dann auch zum Bett
hinüber.
» Ich
danke Ihnen«, sagte John, ohne ihn anzusehen. Seine Augen waren
unverwandt auf Charlotte gerichtet, die weiterhin in einer gnädigen
Ohnmacht lag. »Für alles, was Sie für sie getan
haben, Doktor.«
» Captain,
ich habe Ihnen zu danken. Sie waren eine echte Hilfe. Ich glaube,
ohne Sie wäre mir die Patientin auf dem Tisch geblieben. Die
Seele spielt eine große Rolle in der Kunst der Ärzte. Ich
hatte wirklich den Eindruck, sie hat Sie gehört, als Sie nach
ihr gerufen haben. Anders kann ich mir diese Wende kaum erklären.
Sie scheinen der jungen Dame wirklich sehr verbunden zu sein.«
» Warum
soll ich es vor Ihnen verbergen, Sir? Sie ahnen es ja ohnehin. Ja,
ich liebe diese Frau mehr als ich sagen kann.« John sah den
Arzt nun offen an. »Dennoch waren die Verdächtigungen Lady
Millfords völlig unangemessen. Wir kennen beide unsere Pflichten
und besonders Charlotte ist über jeden Zweifel erhaben. Sie hat
nie …«, er holte tief Luft. »Sie achtet die
Tatsache, dass ich ein verheirateter Mann bin mit schmerzhafter
Konsequenz. Ich war nur hier, um sie vor Terency und ihren liebenden Verwandten
zu schützen, was mir nicht gelungen ist. Er hat sie trotzdem
fast getötet. Wenigstens ereilt ihn jetzt seine gerechte Strafe
und sie ist vor ihm in Sicherheit.«
» Das
ist allerdings eine gute Nachricht. Dieser Terency war eine echte
Geißel für den Landstrich, seit er hier aufgetaucht ist.
Ich hatte mir auch schon Sorgen über den Verbleib von Miss
Millford auf Rockbury Castle gemacht, nach dem, was ich von Ihnen
gehört habe. In ihrem Zustand ist sie noch nicht
transportfähig.«
» Sir,
ihr Name ist Brandon, Charlotte Elisa Brandon.«
» Wie?
Ich verstehe nicht ganz …«, Dr. Williams wirkte ehrlich
verwirrt.
» Das
ist eine lange Geschichte.«
» Wir
haben Zeit«, meinte der Arzt freundlich und ließ sich auf
einem Stuhl am Bett nieder.
Und
so erzählte ihm John, dem es wohl tat, endlich jemandem sein
Herz ausschütten zu können, die ganze Geschichte.
Als
er geendet hatte, meinte sein geduldiger Zuhörer: »Sie
werden also in drei Tagen nach Portsmouth aufbrechen. Dann werde ich
Miss Brandon, denn so wollen wir sie ab jetzt nennen, in meinem Haus
aufnehmen. Ich habe dort zwei Krankenzimmer eingerichtet für
besonders schwere Fälle, die ich unter ständiger
Beobachtung haben möchte. Das ist in diesem Fall mehr als
angebracht.«
» Ich
werde selbstverständlich alle Kosten, die Ihnen entstehen,
übernehmen. Wenden Sie sich damit nur vertrauensvoll an meinen
Bruder, Mr David Battingfield. Er ist Anwalt in London und nimmt
meine Interessen in meiner Abwesenheit wahr. Ich werde ihm eine
entsprechende Anweisung erteilen.«
» Hören
Sie, Captain, nach dem, was Sie mir gerade erzählt haben, ist es
mir wirklich selbst ein Herzensanliegen, Miss Brandon so gut es nur
geht zu pflegen und zu umsorgen. Seien Sie versichert, sie ist bei
mir und meiner Frau in den besten Händen. Allerdings, ich weiß
nicht, wie sie damit umgehen wird, wenn sie wirklich realisiert, dass
sie nun verstümmelt ist. Es könnte gut sein, dass sie in
eine Melancholie verfällt. Ein äußerst gefährlicher
Zustand, der die Heilung durchaus verhindern kann. Hat sie denn
niemand außer Ihnen, dem sie vertraut und der ihr zugetan ist?«
John
dachte nach. »Doch, sie hat eine gute Freundin namens Mary
Fortescue. Das scheint mir eine herzliche und sehr vernünftige
junge Frau zu sein, obwohl ich sie nicht sehr gut kenne. Sie
schreiben sich sehr häufig.«
» Meinen
Sie, sie wäre bereit herzukommen, um sich um Miss Brandon zu
kümmern?«
» Sir,
ich werde mein Möglichstes tun!«
» Gut,
dann kümmern Sie sich darum, aber erst morgen. Jetzt, mein
verehrter lieber Captain Battingfield, sollten Sie sich selbst etwas
Ruhe gönnen, das empfehle ich Ihnen als Arzt. Gehen Sie nur
schlafen. Ich werde mich schon um Miss Brandon kümmern.«
John
merkte erst jetzt, wie sehr ihm die Anspannung der letzten Tage und
vor allem die letzten Stunden zugesetzt hatten. Er war wirklich
völlig am Ende mit seiner Kraft. Er beugte sich noch einmal zu
Charlotte hinunter, strich ihr zärtlich über die bleichen
Wangen und wankte dann zurück in sein Zimmer.
Kapitel
37
Am
nächsten Morgen wurde er durch ein lautes, ungeduldiges Klopfen
an seiner Zimmertür geweckt. Benommen richtete er sich auf. Er
hatte sich
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