Pflicht und Verlangen
Frau wie Miss Brandon undenkbar. Verstehen Sie, man treibt
sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub aus.«
» Aber
was wollen Sie dann tun? Sie können sie doch in ihrem
geschwächten Zustand nicht diesen Qualen aussetzen?« John
war nun wirklich sehr beunruhigt.
» Ich
möchte, mit Ihrer Zustimmung natürlich, sobald der
Blutfluss endlich ganz aufgehört hat, Weidenrindenextrakt
verwenden. Das Mittel soll laut Edward Stone, einem Geistlichen aus
Oxford, tatsächlich die heilenden Kräfte besitzen, die ihm
schon in der Antike zugesprochen wurden. Es soll Fieber senken,
Entzündungen lindern, der Stockung des Blutes entgegentreten und
vor allem effektiv Schmerzen bekämpfen. Allerdings, der Einsatz
des Mittels ist noch umstritten.«
» Dr.
Williams, ich vertraue Ihnen voll und ganz«, sagte John. Dann
besann er sich einen Augenblick und musste lächeln bei der
Erinnerung, die ihm gerade durch den Kopf gegangen war. »Außerdem
würde es Charlotte sicher begrüßen, mit einem antiken
Heilmittel behandelt zu werden, wenn sie sich dazu äußern
könnte. Wenn Sie sie näher kennenlernen, werden Sie
verstehen, was ich damit meine.«
» Gut,
dann werde ich so verfahren.« Dr. Williams stand auf und führte
ihn zur Seite. Ȇbrigens war heute Morgen schon der
Coroner hier«, sagte er mit gesenkter Stimme, »und hat
sich den Zustand von Miss Brandon bestätigen lassen. War
ziemlich erschüttert, der Mann, als er sah, was ihr angetan
wurde. Er sagt, das würde als Verabredung zum Mord gewertet
werden. Sollte sie sterben, dann eben Mord in Vollendung.« Als
er sah, dass sein Gegenüber ihn bei diesem letzten Satz
schockiert anstarrte, sprach er schnell weiter: »Captain, ich
versichere Ihnen, ich werde alles nur Mögliche tun, dass dieser
Fall nicht eintreten wird, obwohl auch ich dem Täter den Strang
wünsche. Ich habe dem Coroner übrigens mitgeteilt, dass
Miss Brandon zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht
vernehmungsfähig ist, aber ihn darauf hingewiesen, dass Sie sehr
viel über die Vorgänge wissen und auf eine Strafverfolgung
bestehen. Gibt es noch weitere Zeugen? Der Coroner wünscht, dass
alle Beteiligten eine Aussage machen.«
» Ja,
es gibt sogar etliche Zeugen. Terency wird sich nicht mehr
herauswinden können. Ich sollte wohl besser so schnell wie
möglich meine Aussage machen. Ich wollte Ihnen ohnehin
mitteilen, dass ich heute noch abreisen werde. Charlotte ist bei
Ihnen gut aufgehoben, das weiß ich. Ich werde auch dafür
Sorge tragen, dass Miss Fortescue sich so schnell wie möglich
bei Ihnen einfindet.«
Dr.
Williams sah ihn etwas erstaunt an, doch dann schien er zu verstehen.
Der Schmerz in den Augen des Mannes ihm gegenüber war nicht zu
übersehen. »Captain, Sie sind ein ehrenhafter Mann. Ich
bin froh, Sie kennengelernt zu haben und werde auf Ihre Charlotte so
gut achten wie ich nur kann. Das verspreche ich.« Er reichte
ihm die Hand. John ergriff sie fest. Dann ging er hinüber zu
Charlottes Krankenlager. Dr. Williams wandte sich verständnisvoll
ab und sah aus dem Fenster.
John
sah sie an und prägte sich ihre blassen Gesichtszüge genau
ein. Wie zerbrechlich sie aussah, fast wie aus Glas. Vielleicht war
dies das letzte Mal, dass er sie sah. Dennoch – was blieb ihm
zu sagen? Schließlich wandte er sich ab und verließ den
Raum.
******
Auf
halbem Weg in sein Zimmer begegnete ihm Jenkins, der ihn offenbar
gesucht hatte.
» Guten
Morgen, Mylord!«, begrüßte ihn dieser herzlich, um
dann besorgt zu fragen: »Waren Sie schon bei der jungen
Patientin? Wie geht es ihr?«
» Dr.
Williams ist nicht ganz zufrieden mit dem Verlauf. Er meint, sie sei
sehr schwach und der Blutverlust sei sehr hoch. Er kann noch nicht
sagen, ob sie es schaffen wird. Aber es besteht trotzdem auch Anlass
zur Hoffnung. Eines ist allerdings sicher: bei Dr. Williams ist sie
in den besten Händen. Ein hervorragender Arzt! Das haben Sie gut
gemacht, Jenkins!«
» Danke,
Mylord! Ja, Dr. Williams ist bekannt in der Gegend. Manche meinen
zwar, seine Methoden seien recht ungewöhnlich und modern, aber
ich habe schon miterlebt, wie er Leute geheilt hat, denen keiner mehr
eine Chance gab.«
John
brannte jedoch ein anderes Anliegen weit mehr auf der Seele.
»Jenkins, was ist denn jetzt mit dem Coroner? Warum hat er
Terency erst heute Morgen abgeholt?«
Der
Stallmeister lachte bitter auf. »Wenigstens hat er ihn
überhaupt abgeholt. Der Haftrichter muss wohl einen ziemlichen
Aufstand gemacht haben und wollte den Haftbefehl erst
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