Pflicht und Verlangen
brachte.
Dieser
hatte das Geschehen beobachtet und rannte nun laut schreiend und mit
einer Mistgabel bewaffnet auf den Wallach zu. Terencys ohnehin schon
geängstigtes Pferd stieg schrill wiehernd, strauchelte dann und
stürzte zu Boden. Seinen Reiter begrub es dabei unter sich. Das
brach den Bann, unter dem die Menge bis dahin gestanden hatte.
Mehrere Männer rannten hinzu und zogen den jammernden right
honourable Gaylord Terency unter dem Reittier hervor. Auch seine
drei Freunde wurden festgehalten und am Fliehen gehindert. John
atmete erleichtert aus. Es war vorbei. Terency würde seiner
Strafe nun nicht mehr entgehen.
Er
wandte sich an zwei würdig aussehende Gentlemen in seiner Nähe
und bat sie, dafür zu sorgen, dass die vier bis zum baldigen
Eintreffen des Coroners sicher festgesetzt würden, was diese
versprachen zu übernehmen. Auf ihre erstaunte Frage, was es denn
mit dem ganzen Aufruhr auf sich habe, antwortete er: »Gentlemen,
ich kann Ihnen das jetzt nicht ausführlich erklären,
versichere Ihnen aber, dass es berechtigte und schwerwiegende Gründe
für die Festnahme gibt. Sie werden sicher durch den Coroner
Näheres erfahren. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss
mich noch sehr dringenden Aufgaben zuwenden.« Dann rannte er
durch die erstaunte Menge eilends und ohne ein weiteres Wort davon.
Kapitel
36
» Danke,
dass Sie sich bereit erklärt haben, bei der Operation zu
helfen«, sagte Dr. Williams und sah die drei Männer, die
ihn umstanden, aufmerksam an. »Außer Captain Battingfield
hat, vermute ich, noch keiner von Ihnen dabei assistiert.«
Jenkins
und ein weiterer Mann mittleren Alters schüttelten den Kopf. Es
handelte sich um einen Gentleman, den Jenkins als Mr Howard Pescoe
vorgestellt hatte und der ihm seit Jahren persönlich bekannt
war. John vertraute der Wahl Jenkins’ vollkommen. Er wusste
sicherlich, was er tat. Die Wertschätzung, die John dem
Stallmeister entgegenbrachte, stieg von Stunde zu Stunde. Manche
Menschen verfügten über einen Adel der Seele, von dem so
mancher Gentleman nur träumen konnte, dachte John. Er war
dankbar, einen Mann wie Jenkins an seiner Seite zu wissen. Dennoch
fühlte er eine starke Beklommenheit, als Dr. Williams nun das
Vorgehen ausführlich erklärte.
Da
das Abtrennen eines Körperteils bei vollem Bewusstsein natürlich
mit unerträglichen Schmerzen und auch psychischem Schock
einherging, musste gewährleistet sein, dass die zu erwartende
heftige Gegenwehr des Patienten so weit als möglich
eingeschränkt wurde. Für den ausführenden Operateur
war es die wichtigste Aufgabe, so schnell und so präzise wie
möglich zu arbeiten, um dem Patienten eine unnötige
Verlängerung der entsetzlichen Qualen zu ersparen. Deshalb gab
es für jede Art von Operation ausgeklügelte
Fesselungstechniken, so auch für die Amputation. Trotzdem war es
immer wieder vorgekommen, dass sich die Patienten in ihrem Schmerz
wehrten und von den Fesseln losrissen. Deshalb war es unumgänglich,
dass kräftige und nervenstarke Helfer die Patienten zusätzlich
festhielten, nicht nur bei der Amputation, sondern auch bei der
nachfolgenden Versorgung der Wunde, die oft schwieriger war als die
Abtrennung des Gliedes selbst, da es galt, möglichst schnell den
enormen Blutfluss zu stoppen.
» Gibt
es nichts, was Sie ihr noch zur Schmerzlinderung geben könnten?«,
fragte John den Arzt. Die Vorstellung, dass Charlotte gleich so
wehgetan würde, war für ihn schwer zu akzeptieren, obwohl
er wusste, dass sie sonst keine Chance hatte zu überleben.
» Es
tut mir wirklich leid, Captain! Auch mir fällt es schwer, der
jungen Frau das anzutun, aber ich kann ihr nichts mehr geben. Sie hat
ebenfalls eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, deshalb
muss ich mit dem Einsatz von Laudanum nun vorsichtig sein. Ich habe
ihr bereits die Höchstdosis dessen, was ich nur irgendwie
verantworten konnte, verabreicht.«
» Schläft
sie denn noch?«
Dr.
Williams nickte: »Doch sie wird aufwachen, wenn wir sie
fesseln, spätestens dann, wenn ich die Abtrennung vornehme.«
John
dachte einen Augenblick nach. »Dann möchte ich Sie um
Folgendes bitten: Wie Sie wissen, kenne ich Miss Millford sehr gut.
Sie ist eine sehr tapfere junge Frau, das kann ich Ihnen versichern,
und verfügt über ungewöhnlichen Mut. Ich glaube, es
ist von Nutzen, wenn ich sie kurz persönlich darauf vorbereiten
kann, was sie erwartet. Es wird schwerer für sie sein −
nach all dem, was sie bereits erlebt hat − wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher